Ein Glas voller Gene
ERC-Starting-Grant für neue Form der Genomanalyse
In einem Glas Meerwasser haben Forscher hunderttausende Gene gefunden, deren Funktion zum Teil vollständig unbekannt ist. Ihr Geheimnis zu lüften, ist Ziel des neuen Projekts von Jun.-Prof. Dr. Lars Leichert vom Medizinischen Proteom-Center der RUB. Für sein Forschungsvorhaben erhält der Bochumer Wissenschaftler den mit 1,5 Millionen Euro dotierten „Starting Grant“ des European Research Council. „Wir verfolgen einen komplett neuen Ansatz, da wir zum ersten Mal gezielt nach der Funktion von ganzen Proteinfamilien suchen wollen“, erklärt Leichert. „Wir testen zum Beispiel, ob die Proteine aus dem Meerwasser für die Industrie interessant sind, etwa für die Herstellung von Biosprit oder Waschmitteln.“ Die Förderdauer des Projekts („Functional metagenomics – Harnessing the biotechnological potential of completely novel protein families“) beträgt fünf Jahre.

Gewöhnliche E. coli-Bakterien mit dem bakterieneigenen Oxidoreduktase-Enzym können schwimmen und breiten sich in der Petrischale aus (links). Entfernt man das Enzym, können sich die Bakterien nicht von der Mitte der Schale wegbewegen (Mitte). Die Schwimmfähigkeit kann wieder hergestellt werden, indem man gentechnisch eine Oxidoreduktase aus einem unbekannten Meeresorganismus in E. coli einbringt (rechts).
© Sebastian Nilewski
Proteine auf industrielle Tauglichkeit testen
Die Genomdaten, mit denen Leichert arbeitet, entstammen Craig Venters „Global Ocean Sampling“-Projekt. „Im Meerwasser wurden insgesamt über 17 Millionen Gene gefunden und 20 % sind vollkommen neu“, so Leichert. „Wir wissen nicht, aus welchem Organismus sie stammen oder welche Funktion sie haben, denn sie ähneln keinen anderen Genen, die wir kennen.“ Die Bochumer Wissenschaftler wollen nun eine sogenannte Expressionsbibliothek erstellen. Dazu bringen sie jeweils eins der unbekannten Gene in das Bakterium E.coli ein, wo es abgelesen und in ein Protein übersetzt wird. Mit einer Reihe von Standardtests (kolorimetrische Essays) untersucht Leicherts Team dann, ob das Protein bestimmte biotechnologisch interessante Eigenschaften besitzt, z.B. Fette oder Zellulose spalten kann.
Schwimmfähigkeit verrät Proteinfunktion
Aus dem riesigen Datenpool haben die Wissenschaftler über 1300 Proteinfamilien ausgesucht, von denen sie jeweils ein repräsentatives Mitglied testen. Sie suchen dabei nicht nur nach industriell anwendbaren Enzymen, sondern auch nach sogenannten Oxidoreduktasen. Diese Enzyme schützen die Zelle vor schädlichen Sauerstoffspezies, die u. a. Alterungsprozesse auslösen. Um sie unter den unbekannten Proteinen ausfindig zu machen, nutzen die Bochumer einen E. coli-Stamm, der keine eigenen Oxidoreduktasen herstellt. Bakterien mit einer solchen Mutation können nicht schwimmen, da die Oxidoreduktasen für die Entwicklung einer funktionstüchtigen Schwimmgeißel notwendig sind. Wenn die Forscher nun ein unbekanntes Protein in die Bakterien einbauen und diese anschließend wieder schwimmen, ist klar, dass es sich bei dem Protein um eine Oxidoreduktase handeln muss.
Zukunftsmusik
„Als ultimatives Ziel sehe ich es an, eine Klonbibliothek herzustellen, also eine Reihe von Bakterien, die jeweils eins der unbekannten Gene enthalten. Das könnte auch für viele andere Forscher interessant sein, die diese Gene auf bestimmte Enzymaktivitäten testen wollen“, beschreibt Leichert. „Wir vermuten auch, dass viele der unbekannten Proteine eine völlig neue Struktur besitzen. Es wäre sehr interessant, sie zu kristallisieren, um die Struktur aufzuklären. Aber das ist noch Zukunftsmusik.“
Vita von Prof. Leichert
Lars Leichert studierte Biochemie an der Ernst-Moritz-Arndt Universität in Greifswald, wo er im Jahr 2005 nach einem mehrjährigen Forschungsaufenthalt in Michigan seine Promotion abschloss. Nach weiteren zwei Jahren als Postdoktorand in Michigan kam Lars Leichert, gefördert durch das NRW-Rückkehrerprogramm, zur Ruhr-Universität Bochum, wo er seit 2008 Junior-Professor am Medizinischen Proteom-Center ist und die AG Redox-Proteomics leitet. Das European Research Council vergibt die ERC Starting Grants an herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für den Auf- oder Ausbau eines eigenen Forschungsteams und die Entwicklung eines unabhängigen neuen Forschungsprojekts.
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