Wie Moleküle Bindungen knüpfen und lösen

Ein entscheidender Schritt, um chemische Prozesse wirklich zu verstehen

08.08.2025

Forschende am European XFEL haben die Bewegung einzelner Atome bei einer chemischen Reaktion in der Gasphase in Echtzeit verfolgt. Mit Hilfe extrem kurzer Röntgenblitze gelang es, die durch infrarotes Licht ausgelöste Bildung eines Iodmoleküls (I₂) aus Diiodmethan (CH₂I₂) genau zu beobachten. Zugleich konnten sie diese Reaktion von zwei anderen Reaktionswegen unterscheiden: ob vom Diiodmethan nur ein einzelnes Iod Atom abgetrennt wurde, oder ob das Molekül ausschließlich anfing zu schwingen. Die Ergebnisse liefern neue Einblicke in fundamentale Reaktionsmechanismen, die bisher nur sehr schwierig experimentell auseinander zu halten sind.

Tobias Wüstefeld, © European XFEL

Infrarotlicht kann im Molekül Diiodmethan verschiedene Reaktionen auslösen. Forschende nutzten das intensive Röntgenlicht des European XFEL sowie ein Reaktionsmikroskop der SQS-Experimentierstation nun, um alle Reaktionskanäle zu unterscheiden.

Reaktionen, bei denen kleine Moleküle aus einem größeren Molekül abgespalten werden, sind zentral für viele chemische Prozesse – von der Atmosphärenchemie bis hin zur Erforschung von Katalysatoren. Doch der detaillierte Ablauf vieler Reaktionen, bei denen mehrere Atome ihre Bindungen lösen und neu knüpfen, blieb bislang oft im Dunkeln. Der Grund: Die Vorgänge spielen sich in unfassbar kurzen Zeiten ab – in Femtosekunden, also in wenigen Millionstel einer Milliardstel Sekunde.

Am SQS-Instrument von European XFEL wurde nun ein innovativer experimenteller Ansatz genutzt, um diese Reaktionsdynamik sichtbar zu machen. Die Forschenden bestrahlten Diiodmethan-Moleküle mit ultrakurzen Infrarot-Laserpulsen, die die chemische Reaktion auslösten. Wenige Femtosekunden später zerschlugen intensive Röntgenblitze die Moleküle, sodass deren atomare Bestandteile durch eine „Coulomb-Explosion“ auseinanderflogen.

Aufgenommen wurden die Flugbahnen und Geschwindigkeiten der Ionen anschließend von einem Nachweisgerät namens COLTRIMS-Reaktionsmikroskop (COLd Target Recoil Ion Momentum Spectroscopy) – eines der Nachweisgeräte an der SQS-Experimentierstation, das den Nutzern zur Verfügung gestellt wird. „Mit dieser Methode konnten wir genau verfolgen, wie die Iodatome zusammenfinden, während die Methylengruppe abgespalten wird“, erklärt Artem Rudenko von der Kansas State University, USA, Leiter des Experimentes. Die Analyse offenbarte, dass sowohl synchrone als auch asynchrone Mechanismen zur Bildung des Iodmoleküls beitragen – ein Ergebnis, das frühere theoretische Modelle bestätigt und verfeinert.

Bemerkenswert: „Obwohl dieser Reaktionsweg nur etwa zehn Prozent der entstehenden Produkte ausmacht, gelang es, diesen klar von konkurrierenden Reaktionen abzugrenzen“, erläutert Rebecca Boll von der Experimentierstation SQS (Small Quantum Systems) von European XFEL in Schenefeld bei Hamburg. Möglich wurde dies durch die präzise Auswahl bestimmter Ionenfragmente und deren zeitlich aufgelöste Analyse.

Darüber hinaus konnten die Forschenden die Schwingungsbewegungen des neu gebildeten Iodmoleküls verfolgen. „Nun können wir in einem isolierten Molekül genau beobachten, wie bei der chemischen Reaktion Bindungen brechen und neu geknüpft werden – in Echtzeit und mit atomarer Präzision“, sagt Xiang Li, der Erstautor der Publikation und Wissenschaftler am SLAC National Accelerator Laboratory in den Vereinigten Staaten. Das ist ein entscheidender Schritt, um chemische Prozesse wirklich zu verstehen. Diese Beobachtungen liefern nicht nur ein detailliertes Bild der Reaktionsmechanismen, sondern eröffnen zugleich neue Wege für die Untersuchung komplexerer chemischer Prozesse.

In Zukunft sollen diese Techniken auf noch größere Moleküle und komplexere Reaktionen übertragen werden. Dank geplanter technischer Verbesserungen des European-XFEL-Röntgenlasers können künftig noch schnellere und detailliertere Einblicke in die Welt der ultraschnellen Moleküldynamik gewonnen werden.

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