Krebs mit Sauerstoff sichtbar machen

20.02.2020 - Deutschland

Wissenschaftler vom Deutschen Krebsforschungszentrum haben eine neue Technik entwickelt, um mithilfe von Sauerstoff Gehirntumoren im Magnetresonanztomografen (MRT) besser erkennen zu können. Dabei setzen sie auf eine Besonderheit im Stoffwechsel der Tumorzellen, die sie mit einem völlig neuen Verfahren in der Bildgebung sichtbar machen. Die Hoffnung ist, mit der neuen Technik die Diagnostik und Charakterisierung von Gehirntumoren künftig weiter zu verbessern.

Paech / Radiology

Die rote Linie markiert das Tumorareal; der farbige Kontrast zeigt den Sauerstoff-Stoffwechsel an. Wie vom Warburg-Theorem vorhergesagt, ist der Sauerstoff-Umsatz im Tumor reduziert (blau).

Tumorzellen unterscheiden sich in ihrem Stoffwechsel deutlich von gesundem Gewebe. Das hatte der Deutsche Arzt und Biochemiker Otto Heinrich Warburg bereits in den 1920er Jahren erkannt. Nach seinen Beobachtungen häuft sich in Tumorzellen Milchsäure an. Dieses Stoffwechselprodukt ist das Ergebnis des anaeroben, also sauerstofffreien Stoffwechsels, den die Krebszellen bevorzugen – auch dann, wenn ihnen ausreichend Sauerstoff zur Verfügung steht. Bekannt wurde dieses Phänomen unter dem Namen Warburg-Effekt.

„Wir haben uns die Frage gestellt, ob sich diese Besonderheit im MRT sichtbar machen lässt", sagt der Arzt und Physiker Daniel Paech vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Herkömmliche MRT-Untersuchungen können lediglich strukturelle Veränderungen sichtbar machen.

Die neue Technik der DKFZ-Forscher kommt ganz ohne Radioaktivität aus und zeigt zudem sehr spezifisch den Sauerstoff-abhängigen Stoffwechsel des Gewebes. Die Wissenschaftler verwenden eine stabile, nicht radioaktive Variante des Sauerstoffs, 17O2, die in geringen Mengen auch in der Atemluft vorkommt. Die Probanden atmen diesen besonderen Sauerstoff in angereicherter Form ein. Überall, wo in den Körpergeweben Sauerstoff verstoffwechselt wird, geht 17O2 eine Verbindung mit Wasserstoff ein. Dadurch wird es im Magnetfeld des MRT nachweisbar. Gewebe, das viel Sauerstoff umsetzt, erscheint daher im Bild hell.

Die DKFZ-Wissenschaftler um Paech und seinen Kollegen Sebastian Niesporek haben das Prinzip zunächst bei drei gesunden Probanden durchgespielt. Wie erwartet lassen deren Gehirne in der Bildgebung einen hohen Sauerstoffumsatz erkennen. Dann untersuchten die Forscher zehn Probanden, bei denen ein Gehirntumor diagnostiziert worden war, mit der neuen Sauerstoff-MRT. „Das Ergebnis war wirklich eindrücklich: Die Tumoren erschienen im Bild als dunkle Flecken, weil hier kein Stoffwechsel mit Sauerstoff stattfand", schildert Paech. „Uns hat überrascht, dass dies sowohl bei höhergradigen aggressiven Tumoren als auch bei weniger aggressiven niedriggradigen Tumoren der Fall war." Bislang war nicht klar, ob der Warburg-Effekt auch bei niedriggradigen Hirntumoren gleichermaßen eine Rolle spielt.

Damit haben die DKFZ-Forscher nicht nur neue Erkenntnisse über die Biologie von Gehirntumoren gewonnen. Sie haben auch eine Technik in der Hand, die das Zeug für eine verbesserte Charakterisierung von Tumorgeweben hat. „Wir sehen das Verfahren als ergänzend zur strukturellen MRT-Bildgebung, um Unterschiede zwischen Tumor und gesundem Gewebe auszumachen", so Paech. „Die zusätzlichen Informationen könnten künftig dabei helfen, Tumoren anhand ihres besonderen Stoffwechsels noch präziser zu charakterisieren."

Eine vergleichbare Technologie existiert derzeit nur für die PET – mit dem Nachteil, dass dabei die radioaktive Sauerstoffvariante 15O2 benötigt wird. Dieses Isotop muss zudem unter hohem Aufwand direkt vor Ort hergestellt werden, was nur an wenigen Kliniken denkbar ist.

Doch auch beim neuen MRT-Verfahren der DKFZ-Forscher gilt es Probleme zu lösen, bis die Methode irgendwann den Weg in die Klinik findet. Noch ist angereichertes 17O2 sehr teuer, wobei Paech davon ausgeht, dass die Produktionskosten sinken könnten, wenn das Molekül in größerem Maßstab hergestellt würde.

„Für die Zukunft gilt es, klinische Studien durchzuführen", so Paech. „Das ist notwendig, um eine mögliche Zulassung von 17O2 zu prüfen und den klinischen Nutzen des Verfahrens zu beweisen", so Paech.

Die neue Methode wurde am 7-Tesla MRT des DKFZ als Kooperationsarbeit der Abteilungen Radiologie und Medizinische Physik in der Radiologie entwickelt und im Dezember letzten Jahres mit dem Roland-Ernst-Preis für interdisziplinäre Forschung in der Radiologie ausgezeichnet. Die Forscher erwarten, dass die Sauerstoff-MRT in Zukunft auch bei anderen Erkrankungen, die mit Veränderung von Stoffwechselvorgängen einhergehen, etwa Alzheimer oder Multiple Sklerose, wertvolle Informationen liefern kann.

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