Röntgenblick in den unteren Erdmantel

Forscher durchleuchten bei DESY das häufigste Mineral der Erde

21.07.2016 - Deutschland

Mit DESYs brillanter Röntgenlichtquelle PETRA III haben Forscher ein überraschendes Verhalten des häufigsten Minerals der Erde beobachtet. Das Mineral Bridgmanit nimmt fast ein Drittel des Volumens der Erde ein und ist die Hauptkomponente des unteren Erdmantels. Daher sind seine physikalischen Eigenschaften ein wichtiger Faktor für die Dynamik unseres Planeten und haben damit direkten Einfluss auf das Leben an der Oberfläche – etwa über die Ausbreitung tiefer Erdbeben oder über geochemische Zyklen, durch die Mineralienvorkommen entstehen. Bridgmanit ist allerdings nicht leicht unter seinen „Normalbedingungen“ zu untersuchen, da im Erdmantel hoher Druck und extreme Temperaturen herrschen. Seine physikalischen Eigenschaften werden daher innerhalb der Wissenschaft kontrovers diskutiert.

Leyla Ismailova/Universität Bayreuth

Kristallstruktur von Eisen-Bridgmanit mit der Eisen-Phase (gelb) und der Silizium-Sauerstoff-Phase (blau).

Elena Bykova und Leyla Ismailova/Universität Bayreuth

Mikroskop-Blick in die Diamantstempelzelle. Das Bridgmanit sitzt in der Mitte.

Leyla Ismailova/Universität Bayreuth
Elena Bykova und Leyla Ismailova/Universität Bayreuth

Die neue Studie zeigt, dass Bridgmanite eine bislang unbekannte eisenhaltige Variante formen kann. Diese erstmals im Labor synthetisierte Variante kann im gesamten unteren Erdmantel existieren. Die Beobachtung hat große Bedeutung für die Eigenschaften unseres Planeten sowie sein Verhalten tief unterhalb der Oberfläche, berichtet das Forscherteam unter Leitung von Leonid Dubrovinsky von der Universität Bayreuth im Fachjournal „Science Advances“. Die Wissenschaftler haben außerdem beobachtet, dass sich innerhalb des Kristallgitters von Bridgmanit unerwartet viele Defekte auch unter hohem Druck finden lassen, die Einfluss auf die Eigenschaften des Materials haben.

„Unsere Erde ist ein dynamischer Planet, was wir jeden Tag zum Beispiel durch Erdbeben zu spüren bekommen“, sagt Ko-Autor Hanns-Peter Liermann, Leiter von DESYs Extreme Conditions Beamline P02.2, an der die Experimente stattfanden. „Erdbeben können von verschiedenen Punkt innerhalb unseres Planeten ausgehen. Um zu verstehen, wie sie entstehen und sich ausbreiten, müssen wir die Dynamik unseres Planeten verstehen. Diese ist eng mit den Mineralien im Erdinneren verbunden.“ Der unteren Erdmantel nimmt fast die Hälfte des Erdvolumens ein und besteht bis zu 80 Prozent aus Bridgmanit.

Bridgmanit ist ein sogenannter Silikat-Perowskit dessen Kristallstruktur aus unterschiedlichen chemischen Elementen besteht, vor allem aus Magnesium, Eisen, Silizium, Aluminium und Sauerstoff. „In unserer Hochdruckzelle simulieren wir die Bedingungen des unteren Erdmantels und beobachten, wie sich diese auf das Material auswirken. Hohe Drücke und Temperaturen sind die üblichen Bedingungen für Bridgmanit“, erklärt Dubrovinsky, Leiter der Geo- und Materialwissenschaftsgruppe der Universität Bayreuth. “Zusammen mit unseren Kollegen von unterschiedlichen Synchrotronstrahlungsquellen haben wir eine einzigartige Technik entwickelt, die es uns ermöglicht, die Kristallstruktur unter diesen extremen Bedingungen zu untersuchen. Die Kristallstruktur von Bridgmanit ist der Schlüssel, um die Eigenschaften unseres Planeten zu enträtseln und die Dynamikin Erdinneren besser zu verstehen.“

Die Forscher benutzten für ihre Versuche eine spezielle, laser-geheizte Diamantstempelzelle (diamond anvil cell oder DAC). Der Bridgmanitkristall wird darin zwischen zwei besonders geschliffenen Diamantstempeln zusammengedrückt und zugleich per Laser auf bis zu 3100 Kelvin (2827 Grad Celsius) aufgeheizt. Unter diesen Bedingungen wird der Bridgmanitkristall mit dem hellen Röntgenstrahl von PETRA III durchleuchtet. Der Kristall streut die Röntgenstrahlung auf charakteristische Weise, und aus dem gemessenen Streubild (Diffraktogramm) kann das Kristallgitter berechnet werden.

Unter einem extrem hohen Druck von mindestens 45 Gigapascal – dies entspricht etwa dem 444 000-fachen Atmosphärendruck und dem Druck in einer Tiefe von rund 1350 Kilometern unter der Erdoberfläche – untersuchten die Wissenschaftler die Stabilität von eisen- und aluminiumhaltigen Bridgmanit. Dabei beobachteten sie, dass oxidiertes Eisen unter diesen Bedingungen eisenreiches Bridgmanit stabilisiert. Erstmals konnten die Forscher Bridgmanit synthetisieren, das nur Eisen enthält. Dieses Eisen-Bridgmanit hat eine drastisch niedrigere Kompressibilität als alle anderen Bridgmanite, was die Wissenschaftler als grundlegende Endeckung einstufen. „Dieser Effekt könnte helfen zu erklären, wieso manche Erdbebenwellen sich nicht gleichmäßig entlang der Bridgmanitschicht innerhalb der Erde ausbreiten“, erläutert Leyla Ismailova, Hauptautorin der Studie von der Universität Bayreuth. „Die Schallgeschwindigkeit in Eisen-Bridgmanit ist um etwa zwei Prozent geringer als in normalem Bridgmanit. Diese Entdeckung ist besonders für die Auswertung seismischer Tomographiedaten und damit für das grundlegenden Verständnis der Struktur des Erdinneren von Bedeutung.“Weiterhin stellten die Forscher fest, dass der synthetisierte Kristall selbst unter extrem hohem Druck noch eine signifikante Anzahl an Defekten in der Struktur aufweist. Das widerspricht der Erwartung, denn beim Zusammenpressen des Materials sollten Defekte verschwinden. Die Beobachtung des anderen Verhaltens der Defekte zeigt die hohe Flexibilität der Struktur und Zusammensetzung des Materials, die für Geochemie und Geophysik von Bedeutung sind. „Wenn wir die Eigenschaften dieses Minerals besser kennen, können wir auch die Dynamik unseres Planeten besser verstehen“, betont Liermann.

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