Wie lange strahlt das Selen im Atommüll?

PTB-Wissenschaftler bestimmen Halbwertszeit von Selen-79 genauer

08.09.2010 - Deutschland

Um die Sicherheit eines Endlagers für nukleare Abfälle abschätzen zu können, ist es wichtig, die Halbwertszeiten der radioaktiven Bestandteile des Atommülls möglichst genau zu kennen. Eines der Nuklide, die in schwach- und mittelaktiven Abfällen vorkommen, ist das Isotop Selen-79. Bisherige Bestimmungen seiner Halbwertszeit variierten stark zwischen 124.000 Jahren und 1.130.000 Jahren. Um eine genauere Aussage darüber treffen zu können, wie lange nuklearer Abfall, der dieses Isotop enthält, voraussichtlich strahlt, haben sich Forscher verschiedener Institute zusammengeschlossen: Wissenschaftler der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig, des Lehrstuhls für Radiochemie der TU München, des Instituts für Transurane in Karlsruhe und des Paul-Scherrer Instituts in Villingen (Schweiz) haben die Halbwertszeit von Selen-79 nun mit deutlich verbesserter Messunsicherheit neu bestimmt. Sie ermittelten eine Halbwertszeit von 327.000 Jahren, und zwar mit einer deutlich geringeren Messunsicherheit als bei den früheren Messungen.

Das radioaktive Isotop Selen-79 ist ein Betastrahler und zerfällt unter Emission von Elektronen zu Brom-79. Eine große Herausforderung bei der Bestimmung der Halbwertszeit war, Verunreinigungen durch andere radioaktive Stoffe in der Probe möglichst gering zu halten. Denn das Ausgangmaterial für die Untersuchung war eine hochradioaktive Spaltproduktlösung aus abgebranntem Kernbrennstoff, die nur eine geringe Menge an Selen-79 enthielt. Zur Trennung wurde unter anderem der Reinsch-Test angewandt, der ursprünglich in der Forensik zum Nachweis von Selen, Arsen oder auch Quecksilber entwickelt wurde und bisher in radiochemischen Analysen kaum Verwendung fand. Auf diese Weise gelang es den Wissenschaftlern, eine Selen-79-Lösung mit sehr hoher radiochemischer Reinheit zu erhalten.

Anhand dieser Lösung wurde die Halbwertszeit über die Anzahl der Selen-79-Kerne und ihre Aktivität bestimmt. Diese wurde in der PTB mit Hilfe der Flüssigszintillationszählung gemessen. Die radioaktive Strahlung löst dabei in einem sogenannten Szintillator Lichtblitze aus, die mit empfindlichen Detektoren gezählt werden können. Die Vorteile dieser Methode sind, dass auch geringe Aktivitäten gut bestimmt und kleine Messunsicherheiten erreicht werden können. Das Ergebnis liegt mit einer Halbwertszeit von 327 000 Jahren deutlich unter dem bisher gemessenen Höchstwert von 1 130 000 Jahren. Die Messunsicherheit wurde mit einem Wert von 8 000 Jahren gegenüber früheren Ergebnissen deutlich verbessert.

Selen-79 ist damit eines von zahlreichen langlebigen Radionukliden, deren Halbwertszeiten in den letzten Jahren in der PTB genauer gemessen werden konnten. Erst kürzlich gelang die bisher genauste Bestimmung der Halbwertszeit von Beryllium-10, das für die Erforschung der Klimahistorie genutzt wird. Auch die für Geochronologen wichtigen „Uhren“ Kalium-40, Rubidium-87 und Samarium-147 konnten die PTB-Forscher genauer stellen: Anhand der Halbwertszeiten dieser Isotope kann die Entstehungszeit von Gesteinen und Sedimenten berechnet werden, um Aussagen über wichtige Ereignisse der Erdgeschichte zu treffen. Die Halbwertszeiten dieser Isotope betragen bis zu 107 Milliarden Jahren.

Originalveröffentlichung: Jörg, G.; Bühnemann, R.; Hollas, S.; Kivel, N.; Kossert, K.; Van Wickel, S.; Lierse v. Gostomski, Ch.: "Preparation of radiochemically pure 79Se and highly precise determination of its half-life"; Applied Radiation and Isotopes 2010.

Weitere News aus dem Ressort Wissenschaft

Meistgelesene News

Weitere News von unseren anderen Portalen

Zuletzt betrachtete Inhalte

Eppendorf baut in Wismar neues Werk für Hightech-Kunststoffe zur Anwendung im Labor - Produktionsstart soll bis Ende des Jahres erfolgen

Eppendorf baut in Wismar neues Werk für Hightech-Kunststoffe zur Anwendung im Labor - Produktionsstart soll bis Ende des Jahres erfolgen

Elektronische digitale Messuhren überwachen und kalibrieren - Richtlinie VDI/VDE/DGQ 2618

Eingewickelte Silber-Häufchen - Kristallstruktur eines durch DNA stabilisierten Silber-Nanoclusters aufgeklärt

Eingewickelte Silber-Häufchen - Kristallstruktur eines durch DNA stabilisierten Silber-Nanoclusters aufgeklärt

Eine optische Linse, die Gas spürt - Forschende der Friedrich-Schiller-Universität Jena stellen optische Linse aus Hybridglas her

Eine optische Linse, die Gas spürt - Forschende der Friedrich-Schiller-Universität Jena stellen optische Linse aus Hybridglas her

Meilenstein für die medizinische Forschung: Neue Methode ermöglicht umfassende Identifizierung von Omega-Fettsäuren - Forscher der Universität Graz und der University of California, San Diego, präsentieren eine effektive Methode zur Bestimmung der Omega-Positionen von Lipiden in komplexen biologischen Proben, darunter menschliches Gewebe und Blut

Meilenstein für die medizinische Forschung: Neue Methode ermöglicht umfassende Identifizierung von Omega-Fettsäuren - Forscher der Universität Graz und der University of California, San Diego, präsentieren eine effektive Methode zur Bestimmung der Omega-Positionen von Lipiden in komplexen biologischen Proben, darunter menschliches Gewebe und Blut

RUB-Biophysiker erhält 1,2 Mio. Euro im Wettbewerb "Med. in NRW": Center for Vibrational Microscopy entsteht

Erstmals mikroskopisch messbar: Wie Biomoleküle auf Platzmangel reagieren - Sensor zeigt Enge in lebenden Zellen an

Erstmals mikroskopisch messbar: Wie Biomoleküle auf Platzmangel reagieren - Sensor zeigt Enge in lebenden Zellen an

Geschäftsjahresabschluss der Firmengruppe WALDNER

Sartorius eröffnet Kompetenzzentrum für Bioanalytik in Ann Arbor - Herstellung von Geräten, Verbrauchsmaterialien und Reagenzien für die Zell- und Proteinanalyse

Sartorius eröffnet Kompetenzzentrum für Bioanalytik in Ann Arbor - Herstellung von Geräten, Verbrauchsmaterialien und Reagenzien für die Zell- und Proteinanalyse

Photonics4Life präsentiert das Mini-Labor für unterwegs

Struktur von ATPase, der kleinsten Turbine der Welt, gelöst - Position der Permeabilitäts-Übergangspore gefunden

Struktur von ATPase, der kleinsten Turbine der Welt, gelöst - Position der Permeabilitäts-Übergangspore gefunden

3-D-Röntgenbild macht feinste Details eines Computerchips sichtbar

3-D-Röntgenbild macht feinste Details eines Computerchips sichtbar