Influenzaviren unter dem Supermikroskop: Wie Grippeviren mit Zellen kommunizieren

Neue Mechanismen beim Zelleintritt von Influenzaviren aufgedeckt

09.05.2025

Influenzaviren zählen zu den wahrscheinlichsten Auslösern künftiger Pandemien. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) und des Universitätsklinikums Freiburg hat eine Methode entwickelt, mit der die Interaktion von Viren mit Wirtszellen in einmaliger Detailtiefe untersucht werden kann. Mithilfe ihrer Neuentwicklung haben sie zudem analysiert, wie neuartige Influenzaviren alternative Rezeptoren nutzen, um in Zielzellen einzudringen. Die Ergebnisse wurden kürzlich in zwei Publikationen im Fachjournal Nature Communications veröffentlicht.

HZI/Broich

Konfokale Mikroskopie einer Zelle (magenta, Zellkern in blau) der Zelllinie A549 auf immobilisierten Influenzaviren (grün).

Viren haben keinen eigenen Stoffwechsel und müssen daher in Wirtszellen eindringen, um sich zu vermehren. Der Kontakt zwischen Virus und Zelloberfläche ist dabei ein entscheidender erster Schritt, über den Infektionen auch verhindert werden können, wenn das Eindringen in die Zellen unterbunden wird. „Die Interaktion mit der Wirtszelle ist bei Influenzaviren sehr kurzlebig. Zudem muss für eine genauere Untersuchung im Nanomaßstab mit hochauflösenden Mikroskopen gearbeitet werden. Mit herkömmlichen Ansätzen war es daher bisher nicht möglich, diesen wichtigen ersten Kontakt genauer zu untersuchen“, erklärt Prof. Christian Sieben, Leiter der Nachwuchsgruppe „Nanoinfektionsbiologie“ am HZI, die Herausforderung, der sich das Team gestellt hat.

Sein Team hat in Zusammenarbeit mit der HZI-Abteilung „Chemische Biologie“ von Prof. Mark Brönstrup ein universelles Protokoll entwickelt, um zu untersuchen, wie Viren mit Wirtszellen kommunizieren. Dafür haben die Wissenschaftler:innen Viren vereinzelt auf einer Glasoberfläche immobilisiert. Anschließend wurden Zellen auf der Oberfläche ausgesät. In herkömmlichen Versuchen wurden die Viren auf vorab ausgesäte Zellen gegeben. „Der Vorteil unseres ‚kopfstehenden‘ Versuchsaufbaus ist, dass die Viren zwar mit Zellen interagieren, aber nicht in sie eindringen – der kritische Moment des ersten Zellkontakts wird so stabilisiert und analysierbar“, sagt Sieben.

Am Beispiel eines saisonalen Influenza A-Virus zeigten die Forscher:innen mithilfe hoch- und superauflösender Mikroskopie, dass der Kontakt zwischen Virus und Zelloberfläche eine Kaskade zellulärer Reaktionen anstößt. Dabei reichern sich zuerst die Zellrezeptoren an der Virus-Bindestelle lokal an. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich die Rezeptoren in der Nähe der Bindestelle langsamer durch die Zellmembran bewegen und daher lokal gehäuft auftreten. Anschließend werden spezifische zelluläre Proteine dorthin rekrutiert und abschließend das Aktin-Zytoskelett dynamisch reorganisiert.

Die Forscher:innen wandten ihre Methode jedoch nicht nur auf ein etabliertes Influenza A-Modell an, sondern auch auf einen neuartigen Influenzastamm mit tierischem Ursprung: das H18N11-Virus, das bei Fledermäusen in Mittel- und Südamerika vorkommt. Anders als die meisten Influenzaviren, die zur Infektion an Glykane – also Kohlenhydratketten auf der Zelloberfläche – binden, hat das H18N11-Virus ein anderes Ziel. „Dieses Virus bindet an MHC-Klasse-II-Komplexe – Proteinrezeptoren, die typischerweise auf bestimmten Immunzellen vorkommen“, sagt Dr. Peter Reuther, Forschungsgruppenleiter am Institut für Virologie des Universitätsklinikums Freiburg. Er erforscht den Zelleintritt der durch Fledermäuse übertragenen Influenza-A-Viren.

Mithilfe von Einzelmolekülverfolgung konnten die Forschenden erstmals zeigen, dass MHCII-Moleküle bei Kontakt mit dem Virus spezifisch an der Zelloberfläche clustern – ein Prozess, der essenziell für den Eintritt des Virus in die Zelle ist. Damit charakterisieren die Teams aus Braunschweig und Freiburg ein neues Modell der Influenza-A-Infektion: die Bindung an MHCII als alternativen Rezeptor und die damit verbundene dynamische Reorganisation der Zelloberfläche. „Die Erkenntnis, dass Influenzaviren nicht exklusiv an zelluläre Glykane binden, eröffnet neue Perspektiven für die Erforschung dieser Erreger“, sagt Reuther. „Gerade im Hinblick auf ihr zoonotisches Potenzial ist es entscheidend, diese alternativen Rezeptoren besser zu verstehen.“

Der Virus-Zell-Bindungsschritt steht auch im Fokus des Anfang 2025 gestarteten EU-Projekts COMBINE (https://www.combine-marv.eu/), das HZI-Forscher Sieben koordiniert. In COMBINE erforschen Wissenschaftler:innen aus fünf europäischen Ländern den Viruseintrittsprozess von neuauftretenden Viren, vor allem solchen mit pandemischem Potenzial. „Dieser Prozess ist ein möglicher Angriffspunkt für antivirale Therapien. Die von uns entwickelte Methodik zur Untersuchung des Viruseintrittsprozesses lässt sich auf viele andere Viren anwenden“, sagt Sieben. Die neuen Ergebnisse bieten nicht nur detaillierte Einblicke in die Biologie von Influenzaviren. Sie legen zugleich eine methodische Grundlage, um Eintrittsmechanismen potenziell pandemischer Erreger gezielter zu untersuchen – und damit neue Angriffspunkte für antivirale Therapien zu identifizieren.

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