Erstmals Daten aus lebenden Zellen: Optisches Verfahren misst molekulare Reaktionszeiten
Die Moleküle in unseren Zellen bilden ein komplexes Netzwerk aus Wechselwirkungen, deren zeitliche Abläufe bislang nicht gemessen werden konnten. Biologen untersuchen stattdessen die Geschwindigkeit einzelner molekularer Reaktionen außerhalb der Zelle. Fraglich ist aber, wie aussagekräftig diese Analysen sind, weil die Moleküle der Zelle in meist höherer Konzentration vorliegen und alle Interaktionen gleichzeitig ablaufen.
Ein Team um den LMU-Biophysiker Professor Dieter Braun untersuchte nun mit einem optischen Verfahren die Reaktionszeiten für die Kopplung zweier Stränge des Erbmoleküls DNA direkt in der Zelle. Und wurde überrascht: "Wir hatten erwartet, in der Zelle schnellere Reaktionen zu finden", sagt Braun. "Die Kopplung lief aber abhängig von der Länge des DNA-Stranges manchmal sogar langsamer ab als außerhalb der Zelle." Mit Hilfe dieser Methode können nun auch Daten aus lebenden Zellen in Modelle einfließen, die komplexe Vorgänge in biologischen Zellen abbilden - und möglicherweise helfen, Krankheiten zu erforschen.
Die Doppelhelix des Erbmoleküls DNA entsteht, wenn sich zwei Einzelstränge aneinanderlagern. In der Studie brachten das Forscherteam zwei zusammengehörende DNA-Stränge in eine Zelle ein und analysierte die Geschwindigkeit deren Hybridisierung, also deren Kopplung und Entkopplung. Zur Messung der Reaktionsgeschwindigkeit - die sogenannte Kinetik - induzierten sie mit einem infraroten Laser Temperaturschwingungen verschiedener Frequenzen in der Zelle und erfassten die Konzentration der Reaktionspartner, also der einzelnen bzw. gekoppelten DNA-Stränge. War die Frequenz langsamer als die Reaktionszeit, folgten die gemessenen Konzentrationen der Temperaturschwingung. War sie schneller, so zeigten die Konzentrationen gegenüber dem Temperaturverlauf eine zeitliche Phasenverschiebung.
Die Reaktionszeit ergab sich aus der Auswertung der Zeitverzögerungen und dem Rückgang der Amplituden. Die Konzentrationen wurden dabei mit Hilfe von Fluoreszenzfarbstoffen gemessen, die untereinander Energie austauschen, wenn sie nahe genug beieinander sind (FRET). Die LMU-Forscher versetzten die beiden DNA-Stränge mit Fluoreszenzfarbstoffen, die nur dann Energie übertrugen, wenn beide Stränge gekoppelt waren. Die Farbstoffe wurden über eine Stroboskoplampe angeregt, und die Fluoreszenzstärke mit einer CCD Kamera aufgenommen. Damit konnten die Biophysiker die Konzentrationsänderungen in der Zelle mit einer räumlichen Auflösung von etwa 500 Nanometer direkt sichtbar machen.
Sie stellten fest, dass DNA-Stränge, die aus 16 Basen-Bausteinen bestehen, im Vergleich zu extern gemessenen Werten in der Zelle etwa siebenmal schneller reagierten, wogegen die Reaktionsgeschwindigkeiten von 12-basiger DNA fünfmal niedriger lagen als außerhalb der Zelle. Dieses Ergebnis widerspricht der bislang vorherrschenden Vermutung, dass molekulare Reaktionen in Zellen wegen der dort vorliegenden hohen Konzentrationen grundsätzlich schneller ablaufen sollten als im Labor. "Offensichtlich modulieren Zellen die Reaktionsgeschwindigkeiten auf hochselektive Art und Weise" sagt Braun. "Die Messungen liefern wertvolle, in vivo gemessene kinetische Daten für die systematische Analyse des komplexen Systems Zelle" ergänzt Ingmar Schön, der die anspruchsvollen Experimente durchgeführt hat. Die Forscher wollen nun eine größere Bandbreite molekularer Reaktionen in lebenden Zellen vermessen.
Originalveröffentlichung: Ingmar Schoen, Hubert Krammer, Dieter Braun; "Hybridization Kinetics is Different Inside Cells"; PNAS online, 14. November 2009
Meistgelesene News
Weitere News aus dem Ressort Wissenschaft
Holen Sie sich die Analytik- und Labortechnik-Branche in Ihren Posteingang
Mit dem Absenden des Formulars willigen Sie ein, dass Ihnen die LUMITOS AG den oder die oben ausgewählten Newsletter per E-Mail zusendet. Ihre Daten werden nicht an Dritte weitergegeben. Die Speicherung und Verarbeitung Ihrer Daten durch die LUMITOS AG erfolgt auf Basis unserer Datenschutzerklärung. LUMITOS darf Sie zum Zwecke der Werbung oder der Markt- und Meinungsforschung per E-Mail kontaktieren. Ihre Einwilligung können Sie jederzeit ohne Angabe von Gründen gegenüber der LUMITOS AG, Ernst-Augustin-Str. 2, 12489 Berlin oder per E-Mail unter widerruf@lumitos.com mit Wirkung für die Zukunft widerrufen. Zudem ist in jeder E-Mail ein Link zur Abbestellung des entsprechenden Newsletters enthalten.
Meistgelesene News
Weitere News von unseren anderen Portalen
Zuletzt betrachtete Inhalte
Veränderungen im Vorstand der Carl Zeiss AG - Dr. Ludwin Monz scheidet auf eigenen Wunsch aus dem Vorstand der Carl Zeiss AG aus
Bollwerk im Kampf gegen Viren – neues bakterielles Immunsystem entschlüsselt - Erstmals Struktur und Funktionsweise des Zorya-Systems beschrieben
Rezyklat als nächster Schritt zu mehr Nachhaltigkeit bei High-End-Laborverbrauchsprodukten - Einweg-Racks aus Resten der Kontaktlinsenherstellung
Gene in der «dunklen Materie» der DNA besser identifizieren
Neuer Weltrekord in der Materialforschung: Röntgenmikroskopie mit 1000 Tomogrammen pro Sekunde - "Diese Methode öffnet eine Tür für die zerstörungsfreie Untersuchung von schnellen Prozessen in Materialien, darauf haben viele Forschungsgruppen und auch die Industrie gewartet"
High-tech für eine Handvoll Euro: Durchbruch in der Terahertz-Spektroskopie
Wie chemische Bindungen entstehen: Energiefluss in Echtzeit beobachten - Femtosekunden-Spektroskopie macht chemische Prozesse sichtbar
Wie kryogene Mikroskopie zur Verbesserung der Ernährungssicherheit beitragen könnte - Wissenschaftler erstellen noch nie dagewesene Bilder
Modellbausatz für modifizierte DNA-Nukleotide - Röntgenstrukturanalyse von Forschern der Universität Konstanz erlaubt Einblicke in das Bindungsverhalten von modifizierten Nukleotiden
Wie mehrzellige Cyanobakterien Moleküle transportieren
Neuzugang im CRISPR-Werkzeugkasten: Mit der Genschere RNA nachweisen - Forschungsteam präsentiert Technologie PUMA zur präzisen Detektion von RNA mit DNA-schneidenden Cas12-Nukleasen