Molekularer Aufbau des Zellkern-Skeletts erstmals aufgeklärt

03.03.2017 - Schweiz

Mittels 3-D-Elektronenmikroskopie konnten Strukturbiologen der Universität Zürich erstmals die Architektur der Lamina des Zellkerns in molekularer Auflösung darstellen. Dieses Gerüst stabilisiert den Zellkern höherer Lebewesen und ist bei der Organisation, Aktivierung und Duplizierung des Erbmaterials beteiligt. Schwere Krankheiten wie Muskelschwund oder vorzeitige Vergreisung, die durch Mutationen in den Laminen, den Hauptbestandteilen der Lamina, verursacht werden, lassen sich nun besser erforschen.

Yagmur Turgay, Universität Zürich

Nukleäre Lamina: Architektur des filigranen Geflechts aus Lamin-Filamenten (Filamentstamm dunkelgrau, globuläre Domänen rot) unterhalb Zellkernmembran (transparent grau) und Kernporenkomplexe (blau).

Im Gegensatz zu Bakterien befindet sich das genetische Material von höheren Lebewesen im Zellkern bzw. Nukleus. Dessen äussere Hülle besteht aus der Zellkernmembran, in der zahlreiche Poren eingebettet sind. Durch diese Transportkanäle werden Moleküle in den Zellkern hinein bzw. von dort hinaus befördert. Unterhalb der Membran liegt die nukleäre Lamina, ein fadenartiges Geflecht von einigen Millionstel Millimetern Dicke. Dieses stabilisiert den Zellkern und schützt die darunterliegende DNA vor äusseren Einflüssen. Zudem spielt die Lamina eine wichtige Rolle bei essenziellen Prozessen im Zellkern – etwa die Organisation der Chromosomen, die Aktivität von Genen sowie die Verdoppelung des Erbmaterials vor der Zellteilung.

Detaillierte 3-D-Darstellung des Zellkern-Gerüsts in natürlicher Form

Nun konnten Forschende des Biochemischen Instituts der UZH unter der Leitung des Zellbiologieprofessors Ohad Medalia erstmals die molekulare Architektur der Zellkern-Lamina von Säugetierzellen im Detail aufklären. Die Wissenschaftler untersuchten Bindegewebszellen von Mäusen mittels Kryo-Elektronentomografie. «Dieses Verfahren kombiniert Elektronenmikroskopie und Computertomografie und erlaubt es, Zellstrukturen in einem quasi-natürlichen Zustand in Molekülauflösung dreidimensional sichtbar zu machen», erläutert Yagmur Turgay, Erstautor der Studie. Die Zellen werden – ohne Vorbehandlung mit schädlichen Chemikalien – in flüssigem Ethan bei -190 °C schockgefroren, wodurch die Zellstrukturen in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten bleiben.

«Das Lamin-Geflecht entspricht einer rund 14 Nanometer dicken Schicht, die sich direkt unterhalb der Porenkomplexe der Zellkernmembran befindet und die aus mehr oder weniger dicht gepackten Regionen besteht», beschreibt Yagmur Turgay die Architektur des Zellkern-Skeletts. Aufgebaut ist das Gerüst aus dünnen, fadenförmigen Gebilden unterschiedlicher Länge – den Lamin-Filamenten. Mit einer Dicke von nur 3,5 Nanometern sind die Filamente der Lamina viel dünner und filigraner als die Strukturen, die bei höheren Organismen das Zellskelett ausserhalb des Zellkerns bilden.

Neuer Ansatz für die Erforschung von Progerie und Muskelschwund

Die Grundbausteine der Filamente sind zwei Eiweisse – die Lamin-Proteine des Typs A und B – die sich aneinanderlagern. Diese bestehen aus einem länglichen Stamm und einer globulären Domäne; ähnlich einer Stecknadel mit Stecknadelkopf. Schon einzelne Mutationen im Lamin-Gen führen zu ganz unterschiedlichen, schweren Krankheiten wie vorzeitiges Altern (Progerie), Muskelschwund (Muskeldystrophien), Fehlverteilung des Fettgewebes (Lipodystrophien) und Erkrankungen des Nervensystems (Neuropathien). «Die Kryo-Elektronentomografie erlaubt es uns, zukünftig die strukturellen Unterschiede der nukleären Lamina von gesunden Menschen und von Patienten mit Mutationen im Lamin-Gen detailliert zu untersuchen», sagt Ohad Medalia. Diese Methode, so der Strukturbiologe, erlaube die Entwicklung neuer Krankheitsmodelle auf molekularer Ebene, die den Weg hin zu neuen therapeutischen Massnahmen eröffne.

Originalveröffentlichung

Weitere News aus dem Ressort Wissenschaft

Meistgelesene News

Weitere News von unseren anderen Portalen

Zuletzt betrachtete Inhalte

Schrödingers Katze im Elektronenmikroskop - Wissenschaftler erzeugen reine Überlagerungs-Zustände freier Elektronen

Elektronenwirbel in Graphen nachgewiesen - «Dank unseres hochempfindlichen und räumlich hochauflösenden Sensors mussten wir das Graphen für diese Beobachtungen nicht einmal abkühlen...»

Elektronenwirbel in Graphen nachgewiesen - «Dank unseres hochempfindlichen und räumlich hochauflösenden Sensors mussten wir das Graphen für diese Beobachtungen nicht einmal abkühlen...»

Temporäre Tätowierung könnte eine unerwünschte Droge in Ihrem Getränk erkennen - Ein chemischer Rezeptor wird rot, wenn er die Droge γ-Hydroxybutyrat erkennt

Temporäre Tätowierung könnte eine unerwünschte Droge in Ihrem Getränk erkennen - Ein chemischer Rezeptor wird rot, wenn er die Droge γ-Hydroxybutyrat erkennt

Forschungsteam stoppt zeitlichen Abstand von Elektronen innerhalb eines Atoms - Neue Methode führt zu dramatischer Verbesserung der erreichbaren Auflösung bei Freie-Elektronen-Lasern

Forschungsteam stoppt zeitlichen Abstand von Elektronen innerhalb eines Atoms - Neue Methode führt zu dramatischer Verbesserung der erreichbaren Auflösung bei Freie-Elektronen-Lasern

Forschende der Universität Stuttgart entwickeln nadelspitzengroßes Miniaturlabor

Forschende der Universität Stuttgart entwickeln nadelspitzengroßes Miniaturlabor

Neue TOC-Norm: Suspensionsmethode nach DIN EN 15936 - TOC im Feststoff in nur drei Schritten bestimmt

Heranzoomen, um das ganze Bild zu sehen - Forscher nutzen Einzelzellansätze und Deep Learning, um alle Stadien der Embryonalentwicklung von Fruchtfliegen abzubilden, und kommen damit möglicherweise der prädiktiven Embryonengenomik einen Schritt näher

Heranzoomen, um das ganze Bild zu sehen - Forscher nutzen Einzelzellansätze und Deep Learning, um alle Stadien der Embryonalentwicklung von Fruchtfliegen abzubilden, und kommen damit möglicherweise der prädiktiven Embryonengenomik einen Schritt näher

Mukoviszidose-Test zum Trinken - Rolle eines Gens in der Niere erlaubt die Entwicklung eines einfachen diagnostischen Verfahrens

Mukoviszidose-Test zum Trinken - Rolle eines Gens in der Niere erlaubt die Entwicklung eines einfachen diagnostischen Verfahrens

Tastsinn der Zelle entdeckt - Zellen nehmen Gewebearten wahr und verändern ihr Schicksal

Tastsinn der Zelle entdeckt - Zellen nehmen Gewebearten wahr und verändern ihr Schicksal

Analytik Jena schließt Großprojekte in China ab