So genau wie der Blick durch‘s Mikroskop

Verschaltung von Hirnstrukturen rekonstruiert

17.09.2013 - Deutschland

Neuronale Verschaltungen im lebenden Gehirn exakt darstellen und erkennen zu können, das ist eine der größten Herausforderungen in den Neurowissenschaften. Ziel ist es, so auch krankhafte Veränderungen sichtbar zu machen, die oftmals symptomatisch für Entwicklungsstörungen des Gehirns sind. Gegenwärtig gilt die Diffusions-Tensor-MRI (DT-MRI) als einzige geeignete Technik, mit der sich Nervenfaserbahnen und neuronale Verschaltungen im lebenden Gehirn zwar nicht wirklich sehen, aber zumindest rekonstruieren lassen.

Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität

Vergleichende hochauflösende Darstellung (Traktogramm) der thalamokortikalen Faserbündel im Gehirn einer Wildtyp-(links) und einer Reeler-Maus (rechts) zeigt deutliche Unterschiede in der kortikalen Organisation der Nervenfasern.

Einem Forscherteam am Exzellenzcluster und DFG Forschungszentrum für Mikroskopie im Nanometerbereich und Molekularphysiologie des Gehirns (CNMPB) an der Universitätsmedizin Göttingen ist es nun in Zusammenarbeit mit der Abteilung Medizinphysik im Radiologischen Zentrum des Universitätsklinikums Freiburg gelungen, die Methode der so genannten Diffusions-Traktographie weiter zu verfeinern und zu präzisieren. Mit Hilfe einer einzigartigen Kombination von Anwendungen und mathematischen Algorithmen lassen sich bestimmte Hirnstrukturen so genau „nachbauen“ wie es sonst nur der Blick durch das Mikroskop zulässt. Nervenfasern und deren Projektionsbahnen können so im lebenden Gehirn zuverlässig und hochauflösend dargestellt werden.

Kombinierte Methode: Präsize wie durchs Mikroskop geschaut

"Wie gut die neuronalen Verschaltungen präzise im lebenden Gehirn zu rekonstruieren sind, hängt entscheidend von der Akquise und Weiterverarbeitung der Daten ab", sagt Prof. Dr. Jochen Staiger, Senior-Autor der Publikation und Direktor des Instituts für Neuroanatomie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG). Herzstück der neuen, kombinierten Methode ist ein Hochfeld-MRT. Mit dieser Technologie lässt sich der Datensatz eines kompletten Mäusegehirns anfertigen. Dies ist mit herkömmlichen Bildgebungs-Verfahren nicht möglich. Die Architektur der Nervenfaserbündel kann dann auf der Basis von ausgewählten Daten am Computer rekonstruiert werden. Überprüft wurden die Ergebnisse durch eine histologische Analyse desselben Gehirns. Der Vergleich der Ergebnisse ergab hohe Übereinstimmungen zwischen beiden Techniken und liefert somit den Nachweis für die Genauigkeit der von Prof. Staigers Team erfassten Rekonstruktionen.

Erste Ergebnisse: Nervenbahnen vom Ursprung bis zum Ende

Mit Anwendung der neuen kombinierten Technik konnten Laura-Adela Harsan aus der Abteilung Medizinphysik in Freiburg, und ihr Kooperationspartner Prof. Staiger aus dem Institut für Neuroanatomie der UMG eine wichtige biologische Fragestellung für eine grundlegende neuronale Verschaltung lösen, die auch das "Tor zum Bewusstsein" genannt wird. Bisher war unklar, welche Be-deutung die sogenannte kortikale Laminierung der Hirnareale, bei der neuronalen Verschaltung hat. Um diese Frage zu klären, führten die Forscher mittels Diffusions-Traktographie (siehe unten) die Rekonstruktion der Nervenfaserbahnen im Gehirn eines Mausmodells mit einem entsprechenden Defekt durch.

Bei der"„Reeler-Maus" ist die zelluläre Architektur der Hirnrinde (Cortex) aufgrund eines Defekts im Reelin-Gen stark verändert, so dass Nervenzellen während der Hirnentwicklung nicht ihre korrekte Position finden können. Es stellte sich die Frage, ob die informationstragenden Fortsätze einer Nervenzelle trotzdem ihre Zielgebiete finden können. Harsan, Prof. Staiger und weitere Kooperationspartner von der Semmelweis Universität in Budapest, Ungarn, und von der Northwestern University in Chicago konnten mittels Diffusions-Traktographie das Geschehen genau konstruieren und verfolgen. Die Antwort wurde sichtbar: Fortsätze der Nervenzellen gehen von der grauen in die weiße Hirnsubstanz über und finden von dort wieder in die graue Substanz des Cortex zurück. „Mit der Diffusions-Traktographie ist es also möglich, im lebenden Organismus Nervenbahnen vom Ursprung zum Ende zu verfolgen und so eine Art „Kartierung“ oder „Origin to Termination Mapping in vivo" vorzunehmen“, so Prof. Staiger. "Wir konnten erstmals eine veränderte Organisation der Schichtung in der Hirnrinde der Reeler-Maus darstellen, an die sich die thalamo-kortikale Verschaltung mit einer spektakulären kompensatorischen Umstrukturierung anpasst."

Diffusions-Tensor-MRI (DT-MRI)

Bei der Diffusions-Tensor-MRI (DT-MRI) oder Diffusions-Traktographie handelt sich dabei um ein bildgebendes Verfahren, das mit Hilfe der Magnetresonanztomographie (MRT) eine Diffusionsbewegung von Wassermolekülen im Körpergewebe misst und räumlich darstellt. Aus den gewonnenen Daten wird über bestimmte Algorithmen die Struktur der weißen Substanz und darüber der wahrscheinliche Verlauf größerer Ner-venfaserbündel im Gehirn rekonstruiert (Traktographie). Ein Vorteil der nicht-invasiven DT-MRI Technik ist, dass sie im lebenden Organismus anwendbar ist. Damit wird es möglich, die Hirnentwicklung über einen bestimmten Zeitraum und im selben Organismus mehrmals zu beobachten.

Wichtiges Einsatzgebiet der Diffusions-Tensor-MRI ist in der Klinik die Diagnose von Schlaganfällen. Die betroffenen Hirnregionen sind bereits deutlich früher zu erkennen als in der klassischen MRT. Die Lage von Nervenbahnen lässt sich durch Einsatz der Technik genau bestimmen. Dies erhöht bei der 3D-Planung von neurochirurgischen Eingriffen die Sicherheit für den Patienten. Auch für die Erforschung von Krankheiten, die mit Veränderungen der weißen Substanz einhergehen, wie Morbus Alzheimer oder Multiple Sklerose kommt diese Technik zum Einsatz.

Originalveröffentlichung

Laura-Adela Harsan, Csaba Dávid, Marco Reisert, et al., Mapping remodeling of thalamocortical projections in the living reeler mouse brain by diffusion tractography. PNAS (2013) May 7, 110(19):E1797-806.

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