Leben aus dem Minimalsten: Forschende erschaffen eine "minimale Zellmembran" mit nur zwei Lipiden

Überraschende Auswirkungen eines Zwei-Lipid-Speiseplans

27.11.2024
Isaac Justice, Nature Communications

Transmissionselektronenmikroskopie-Aufnahme einer Minimalzelle, genannt JCVI-Syn3A, mit nur zwei Lipidtypen. Während die Hälfte der Zellen eine normale Form behielt, führte die Minimierung des Lipidoms zu diesem "Todesstern"-Phänotyp, gekennzeichnet durch eine Membrandeformation (helle Region am oberen Ende der Zelle).

Lipide, auch bekannt als Fette, sind für das Leben essentiell. Sie bilden die Membrane um Zellen und schützen sie vor der Außenwelt. In der Natur gibt es eine enorme Vielfalt von Lipiden, wobei jeder Organismus seine eigene einzigartige Kombination besitzt. Aber was sind die minimalen Lipid-Anforderungen für das Überleben einer Zelle? Ein Forschungsteam am B CUBE - Center for Molecular Bioengineering der TU Dresden zeigte, dass Zellen mit nur zwei Lipiden funktionieren können. Sie schufen eine Zelle mit einer minimalen, anpassungsfähigen Membran, die ein einzigartiges System bietet, um zu untersuchen, wie die Lipidkomplexität entstanden ist, und wie sie für künstliches Leben genutzt werden kann. Ihre Ergebnisse wurden in Nature Communications veröffentlicht.

Membranen sind wie Blasen, die Zellen umschließen und sie von ihrer Umgebung trennen. Membranen dienen auch als Orte, an denen Moleküle interagieren und Prozesse koordinieren, die für das Leben essentiell sind.

"Es gibt eine enorme Vielfalt von Lipiden in der Natur, und fast jeder Organismus hat seinen eigenen Satz von Lipiden, bekannt als Lipidom. Menschliche Zellen zum Beispiel verwenden Hunderte verschiedener Lipidtypen", sagt Dr. James Sáenz, Forschungsgruppenleiter am B CUBE, der die Studie leitete. "Doch alle diese verschiedenen Lipidmischungen bieten Lösungen für dieselben evolutionären Herausforderungen: den Aufbau einer stabilen Barriere und die Organisation von Biomolekülen in Raum und Zeit. Wir wollen verstehen, warum sich so viele verschiedene Lipide entwickelt haben, warum die Natur sie braucht, und wie sie zur Entwicklung künstlicher lebender Systeme genutzt werden können."

Die Grenzen des Lipidoms testen

Ihre Studie begannen die Forschenden mit Mycoplasma mycoides, einem einfachen pathogenen Bakterium. Im Gegensatz zu den meisten Zellen kann Mycoplasma keine eigenen Lipide herstellen, und muss stattdessen von seinem Wirt bereitgestellte Lipide verwenden. Durch systematische Ergänzung der Zellen mit verschiedenen Lipidkombinationen grenzten die Forschenden die grundlegende Kombination ein, die für das Überleben und die Zellteilung benötigt wird.

Sie fanden heraus, dass die Zellen mit einem "Speiseplan" von nur zwei Lipiden überleben können: Cholesterin und einem weiteren sogenannten membranbildenden Lipid, Phosphatidylcholin.

"Diese beiden Lipide sind nicht unbedingt die einzigen, die Leben möglich machen", sagt Isaac Justice, der Doktorand, der das Projekt durchgeführt hat. "Aber sowohl ein membranbildendes Lipid, das die Grundstruktur für die Zellmembran liefert, als auch ein nicht-membranbildendes Lipid, wie Cholesterin, das Stabilität verleiht, scheint eine grundlegende Voraussetzung zu sein."

Die überraschenden Auswirkungen eines Zwei-Lipid-Speiseplans

Das Team beobachtete die Zellen mit einem minimalen Lipidspeiseplan unter einem Elektronenmikroskop und sah dramatische Auswirkungen auf Zellform und -größe. Einige Zellen wuchsen bis zu zehnmal so groß wie gewöhnlich, während andere ungewöhnliche Formen und Verformungen bildeten.

"Was mich am meisten überrascht hat", sagt Justice, "war, dass etwa die Hälfte der Zellen mit nur zwei Lipiden völlig normal aussahen. Sie waren rund und teilten sich gut. Trotz der drastischen Reduzierung der Komplexität der Lipidzusammenstellung funktionierten sie überraschend gut."

Die Herausforderung der Komplexitätsreduktion

Diese minimale Lipidkombination zu erreichen, war keine leichte Aufgabe. Erste Experimente zeigten, dass Mycoplasma die meisten der zugeführten Lipide modifizieren konnte und sie in neue Typen umwandelte.

"Als wir Cholesterin und ein übliches membranbildendes Phospholipid zuführten, konnten die Zellen etwa 30 verschiedene Lipide daraus erzeugen", erklärt Dr. Sáenz. Um die minimale Lipidzusammenstellung zu kontrollieren, versorgte das Team die Zellen mit sehr ähnlichen Lipiden, die jedoch mit einer anderen Art von chemischer Bindung verbunden waren, die die Zellen mit ihren Enzymen nicht aufbrechen konnten.

Die Komplexität des Lebens nachbilden

Nachdem der minimale Lipidspeiseplan identifiziert wurde, wandten die Forschenden ihn auf eine "Minimalzelle" an. JVCI-Syn3A, die am J. Craig Venter Institute entwickelte Minimalzelle, hat nur die Gene, die für das Überleben essentiellen sind. Mit einem minimalen Genom und Lipidom ist diese Zelle nun ein leistungsfähiges neues Werkzeug für die synthetische Biologie.

Dieses minimale Zellsystem bietet eine einzigartige Plattform, um zu untersuchen, wie Lipide das Leben ermöglichen. Mit den Prinzipien der Bottom-up synthetischen Biologie können Forschende nun verschiedene Teile des Lipidoms gezielt wieder einführen und die entstehenden Veränderungen der Zellfunktion untersuchen.

"Man kann es sich als Reverse Engineering der Evolution der Lipidkomplexität vorstellen. Wir versuchen nicht unbedingt, die Lipide nachzubilden, die in urzeitlichem Leben vorhanden waren. Das könnten wir nicht. Wir wissen einfach nicht, was es war. Stattdessen führen wir komplexe Lipidkombinationen Schritt für Schritt systematisch wieder in die Membran ein", sagt Justice.

"Indem wir die minimalen Lipid-Anforderungen für eine lebende Zelle herausgefunden haben, haben wir jetzt eine experimentelle Plattform, um zu verstehen, warum bestimmte Lipidstrukturen entstanden sind und wie sie das Leben unterstützen", sagt Dr. Sáenz. "Dieses Wissen könnte eines Tages helfen, synthetische Zellen mit maßgeschneiderten Membranen für spezielle Anwendungen in Biotechnologie und Medizin zu entwickeln."

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