Wann weiche Kugeln poröse Medien steifer machen
Forschenden der Universitäten Stuttgart und Twente gelingt dreidimensionale Charakterisierung granularer Mischungen
Poröse Medien wie Beton stellen physikalisch eine Kugelpackung aus verschiedenen Komponenten dar - hier aus Zement, Gestein und Wasser. Die mechanischen Eigenschaften einer solchen Gemengelage sind aufgrund ihrer Komplexität bisher nur schwer zu berechnen. Ein Team um Prof. Holger Steeb (Universität Stuttgart) und Prof. Stefan Luding (Universität Twente, Niederlande) konnte nun durch die Kombination von Ultraschalluntersuchungen und Röntgentomographie eine unerwartete Materialeigenschaft von Kugelpackungen aus weichen und steifen Kugeln dreidimensional auswerten. Darüber berichtete die Fachzeitschrift PNAS. Perspektivisch könnte die Entdeckung das Bauen in Erdbebengebieten sicherer machen.
Kugelpackung mit weichen und steifen Kugeln, deren effektiven mechanischen Eigenschaften mittels Ultraschallwellen und Röntgenstrahlen untersucht wird.
Universität Stuttgart/Matthias Ruf, University of Twente, Dr. Kianoosh Taghizadeh
Die Analyse der genauen Zusammensetzung von porösen Materialien wie Beton oder Asphalt und deren Auswirkung auf die mechanischen Materialeigenschaften spielen bei vielen technischen Anwendungen eine äußerst wichtige Rolle. Denn nur, wer das genaue Mischverhältnis und das sich daraus ergebende effektive Materialverhalten kennt, kann das Material gezielt auf „Anwendungswünsche“ anpassen. So lässt sich beispielsweise bei einem Kompositmaterial aus einer weichen Kunststoffmatrix und integrierten steifen Fasern die effektive elastische Steifigkeit vergrößern, wenn man den Faseranteil gezielt erhöht. Zerstörungsfrei bestimmbar ist diese effektive Steifigkeit aus der Wellenlaufzeit eines Schallimpulses durch die granulare Kugelpackung.
Bessere Prognosemodelle durch gezielte Experimente
Vor diesem Hintergrund untersuchten die Teams um Prof. Holger Steeb, Forschungsleiter im Sonderforschungsbereich 1313 sowie im Exzellenzcluster SimTech der Universität Stuttgart sowie um Prof. Stefan Luding von der Universität Twente die effektiven elastischen Eigenschaften von Kugelpackungen mittels Ultraschall im „Porous Media Lab“ der Universität Stuttgart. Mit dabei waren auf Stuttgarter Seite Dr. Kianoosh Taghizadeh und Matthias Ruf vom Lehrstuhl für Kontinuumsmechanik. Im Experiment stellten die Forschenden zuerst eine Kugelpackung aus gleich großen steifen Glaskugeln und weichen Gummikugeln in unterschiedlichen Mischverhältnissen her und füllten diese in einen mit piezoelektrischen Ultraschallsensoren und -aktuatoren ausgestatteten röntgentransparenten (PMMA)-Zylinder. Dabei stellte sich heraus, dass sich durch das Hinzugeben von bis zu 20 Prozent (weichen) Gummikugeln die effektive Steifigkeit der Kugelpackung nicht vermindert, sondern sogar vergrößert hat. Erhöht man den Volumenanteil der Gummikugeln jedoch weiter auf 30 Prozent und mehr, nimmt die Steifigkeit rapide ab. „Dieses Verhalten widerspricht allen klassischen Mischungsregeln“, betont Steeb. „Um die mechanischen Zusammenhänge besser zu verstehen und den unerwarteten Effekt erklären zu können, müssen die Struktur der Kugelpackung (die Morphologie), die Kraftübertragung zwischen den einzelnen Kugeln sowie die Nachbarschaft einzelner Kugeln, also der gesamte Aufbau der granularen Kugelpackung, analysiert werden.“
Kein klassischer Festkörper mehr
Die dreidimensionale Auswertung der Morphologie gelang den Forschenden durch die Kombination von Ultraschalluntersuchungen und einer bildgebenden röntgentomographischen Charakterisierung (CT). Dabei konnten sie zeigen, dass sich die hohen effektiven Steifigkeiten der Kugelpackungen bei Volumenanteilen der Gummikugeln von bis zu 20 Prozent durch kurze und steife Kraftpfade zwischen den Glaskugeln erklären lassen. Gleichzeitig befinden sich die Glaskugeln alleine in einer Art blockiertem Zustand, einem so genannten „Jammed State“ mit entsprechend großer Kontaktanzahl. Steigt der Volumenanteil der Gummikugeln über 30 Prozent, bestehen die Kraftpfade aus gemischten Kontakten zwischen Glas- und Gummikugeln, die wesentlich weicher sind. Die Auswertung der lokalen Kugelnachbarschaften zeigte darüber hinaus, dass die Koordinationszahl, also die Anzahl der benachbarten Kugeln gleichen Typs, bei diesen höheren Volumenanteilen deutlich kleiner wird. „Bei diesem Volumenanteil befindet sich keine der beiden Kugelphasen in einem Jammed State und damit ist das effektive Materialverhalten nicht mit einem klassischen Festkörper vergleichbar“, folgert Steeb.
In der Weiterentwicklung dieser Forschung sehen die Wissenschaftler viel praktisches Potenzial für das Bauwesen. So könnten zum Beispiel in erdbebengefährdeten Gebieten die Steifigkeiten und Dämpfungseigenschaften von Böden durch gezielt eingestellte Schotter-Gummimischungen eingestellt werden. Dadurch würden sich Amplituden und Geschwindigkeiten von Erdbebenwellen gezielt manipulieren lassen und man könnte damit sogar Gebäude effizient und kostengünstig vor diesen Gefahren schützen.
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