20.05.2014 - Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie GmbH (IMP)

Hochgeschwindigkeits-Mikroskopie bannt gesamte Gehirnaktivität auf Video

Ein Team um Alipasha Vaziri, Gruppenleiter am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) und an den Max F. Perutz Laboratories (MFPL) in Wien, entwickelte gemeinsam mit Kollegen am Massachusetts Institute of Technology (MIT) eine Methode, mit der erstmals die gleichzeitige neuronale Aktivität von Nervensystemen an lebenden Organismen mit Einzelzellauflösung erfasst werden kann. Die Forscher stellen ihre Entwicklung in Nature Methods vor.

Es ist eine fundamentale Frage, wie sich unser Gehirn durch die von Sinnesorganen wahrgenommen Informationen ein Bild von der Welt macht, wie diese Informationen verarbeitet werden und letztlich zu Entscheidungen und Verhalten führen. Die Möglichkeit, diese Kausalkette in ihren Einzelheiten nachzuvollziehen, war bisher stark eingeschränkt. Es fehlten die nötigen Technologien, mit denen die Aktivität großer Netzwerke von Nervenzellen (Neuronen) spezifisch manipuliert und gleichzeitig erfasst werden kann.

Gehirnaktivität in bisher unerreichter Auflösung

Ein Team von Wissenschaftlern um den Wiener Physiker Alipasha Vaziri stellt nun im Journal Nature Methods eine Technologie vor, die es ermöglicht, die Nervenzell-Aktivität des gesamten Gehirns von Modellorganismen mit hoher räumlicher und bisher unerreichter zeitlicher Auflösung abzubilden. Die Methode, die gemeinsam mit Edward Boyden und seiner Gruppe am MIT (Cambridge, USA) entwickelt wurde, erlaubt die Rekonstruktion von dreidimensionalen Daten aus einzelnen Bildern.

Schon bisher konnte man die Aktivität von Neuronen mit Hilfe fluoreszierender Proteine in genetisch veränderten Organismen sichtbar machen. Allerdings, war es bis vor kurzem nicht möglich, gleichzeitige Aktivitätsänderungen von großen Nervenzellnetzen mit Einzelneuron-Präzision zu erfassen.

„Genau diese Möglichkeit ist unabdingbar, um zu verstehen, wie die beachtlichen Leistungen des Gehirns bei der Verarbeitung von Sinnesreizen oder der Planung von Bewegungsabläufen zustande kommen“, sagt Alipasha Vaziri, der die Forschungsplattform „Quantum Phenomena & Nanoscale Biological Systems (QuNaBioS) an der Universität Wien leitet. „Der Grund dafür liegt in der enormen Dichte der Vernetzung von Nervenzellen im Gehirn. Dadurch tragen einzelne Neuronen meist keine Information, sie ist vielmehr im Zustand des gesamten Systems kodiert.“

3D-Information aus nur einem Bild

Die Hardware des neuen Imaging-Verfahrens enthält zehntausend Mikrolinsen auf einem münzgroßen Chip. Somit wird das Objekt mit einer einzigen Aufnahme jeweils aus unterschiedlichen Winkeln gleichzeitig abgebildet. Ein Computer-Algorithmus rekonstruiert die räumliche Position des Objekts aus dieser Winkelinformation.

„Bisher musste man räumliche Objekte punktweise abtasten, nun ersparen wir uns das Scannen in mehreren Ebenen“, erklärt Robert Prevedel, Postdoktorand in Wien und mit Young Gyu Yoon vom MIT gemeinsamer Erstautor der Studie. „Wir können mit einem einzigen Bild ohne jegliches mechanisches Scanning den gesamten Raum aufnehmen. Unsere Zeitauflösung ist allein durch die Eigenschaften der Moleküle und des Kamerasensors beschränkt. Gegenüber der bisherigen Methode können wir in Volumina, die bis zu tausendfach größer sind, zehnfach schnellere Veränderungen erfassen.“

Die Wiener Forscher wandten die neue Methode bereits erfolgreich an unterschiedlichen Systemen an. In Fadenwürmern der Art C. elegans, deren Nervensystem nur 300 Neuronen umfasst, konnten sie mit der neuen Technologie nicht nur die Aktivität des Gehirns erfassen, sondern auch alle anderen Nervenverbindungen, etwa zu den Muskeln.

Simultane Gesamtgehirnaktivität von 100.000 Nervenzellen erfasst

Um das Potenzial der neuen Methode auch bei höheren Organismen auszuloten, wurden Larven des Zebrafischs untersucht. Deren Nervensystem umfasst rund 100.000 Neuronen. Wie beim Menschen „feuern“ sie Nervenpulse im Millisekunden-Bereich. Die Forscher stimulierten rund 500 Nervenzellen im Riechorgan der Larven mit vergorener Fischbrühe - ein äußerst abstoßendes Aroma für diese Tiere. Gleichzeitig erfassten sie simultan die Gesamtaktivität des Gehirns, bestehend aus 100.000 Neuronen. Sie konnten dabei Aktivität in über 5.000 Nervenzellen im Gehirn feststellen, die - vom Riechorgan ausgehend -Nervensignale erhielten.

Vaziri kommentiert den entscheidenden Fortschritt so: „Im Vergleich zu den Würmern finden wir beim Zebrafisch Verhältnisse vor, die denjenigen beim Menschen stärker ähneln. Wir hoffen daher, mit unserer Methode eines Tages zu verstehen, wie das Gehirn Informationen repräsentiert und diese verarbeitet, um Entscheidungen zu treffen. Letztlich wollen wir damit den vom Gehirn benutzten Algorithmen auf die Spur kommen.“

Die Erkenntnisse sollen dazu beitragen, rechnerische Modelle von Verhaltensabläufen zu entwickeln, um Voraussagen für bestimmte Handlungen zu treffen. Im Bereich der Objekterkennung und des Maschinenlernens besteht bereits heute großes Interesse an derartigen Modellen.

Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie GmbH (IMP)

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