Erstmals Struktur von flüssigem Kohlenstoff gemessen
Forschungsteam gelingt bahnbrechendes Experiment am European XFEL
Speziell für Messungen von Materie unter extremem Druck hat eine internationale Forschungskollaboration unter Leitung der Universität Rostock und des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) im Jahr 2023 erstmals den Hochleistungslaser DIPOLE 100-X am European XFEL eingesetzt. Spektakulär: Bereits in diesem ersten Experiment gelang die Untersuchung von flüssigem Kohlenstoff – ein bislang einzigartiger Vorgang, wie die Forscher*innen jetzt in der Fachzeitschrift Nature berichten.
Flüssiger Kohlenstoff kommt zum Beispiel im Inneren von Planeten vor und spielt eine wichtige Rolle für Zukunftstechnologien wie die Kernfusion. Bisher war allerdings nur sehr wenig über Kohlenstoff in flüssiger Form bekannt, denn im Labor war dieser Zustand praktisch nicht fassbar: Bei Normaldruck schmilzt Kohlenstoff nicht, sondern geht direkt in einen gasförmigen Zustand über. Erst unter extremem Druck und bei Temperaturen von etwa 4.500 Grad Celsius – dem höchsten Schmelzpunkt eines Materials überhaupt – wird Kohlenstoff flüssig. Kein Behälter würde dem standhalten.
Laserkompression hingegen kann festen Kohlenstoff für Bruchteile von Sekunden verflüssigen. Diese Sekundenbruchteile gilt es für Messungen zu nutzen. Am European XFEL in Schenefeld bei Hamburg, dem weltgrößten Röntgenlaser mit seinen ultrakurzen Pulsen, ist dies heute in bisher unvorstellbarer Weise möglich.
Einzigartige Messtechnik in dieser Kombination
Entscheidend für den Messerfolg war die einzigartige Kombination des European XFEL mit dem Hochleistungslaser DIPOLE100-X, der vom britischen Science and Technology Facilities Council entwickelt wurde und durch das HIBEF-Nutzerkonsortium (Helmholtz International Beamline for Extreme Fields) Wissenschaftler*innen aus aller Welt zur Verfügung gestellt wird. Eine Gemeinschaft international führender Forschungseinrichtungen hat an der Experimentierstation HED-HIBEF (High Energy Density) des European XFEL nun erstmals die leistungsstarke Laserkompression mit der ultraschnellen Röntgenanalytik und großflächigen Röntgendetektoren zusammengebracht.
Im Experiment treiben die hochenergetischen Pulse des DIPOLE100-X-Lasers Kompressionswellen durch eine feste Kohlenstoffprobe und verflüssigen das Material für Nanosekunden, also für den milliardstel Teil einer Sekunde. Innerhalb dieser Nanosekunde wird die Probe mit einem ultrakurzen Röntgenlaserblitz des European XFEL beschossen. Die Atome im Kohlenstoff lenken das Röntgenlicht ab – ähnlich wie Licht an Gitter gebeugt wird. Das Beugungsmuster erlaubt Rückschlüsse auf die momentane Anordnung der Atome im flüssigen Kohlenstoff.
Ein Experiment dauert zwar nur ein paar Sekunden, wird aber vielfach wiederholt: Jedes Mal mit einem leicht zeitversetzten Röntgenpuls oder unter leicht veränderten Druck- und Temperaturbedingungen. Aus vielen Schnappschüssen entsteht schließlich ein Film. So konnten die Forscher*innen den Übergang zwischen fester und flüssiger Phase Schritt für Schritt nachvollziehen.
Wasserähnliche Struktur und genauer Schmelzpunkt bestimmt
Die Messungen ergaben: Mit je vier nächsten Nachbarn folgt flüssiger Kohlenstoff einer ähnlichen Systematik wie fester Diamant. „Das ist das erste Mal überhaupt, dass wir die Struktur von flüssigem Kohlenstoff experimentell beobachten konnten. Unser Experiment bestätigt Vorhersagen aus aufwändigen Simulationen von flüssigem Kohlenstoff. Es handelt sich eher um eine komplexe Form einer Flüssigkeit, ähnlich wie Wasser, das auch ganz besondere strukturelle Eigenschaften besitzt“, erklärt der Leiter der „Carbon Working Group“ innerhalb der Forschungskollaboration, Prof. Dominik Kraus von der Universität Rostock und dem HZDR.
Auch den Schmelzpunkt konnten die Forscher*innen genau eingrenzen. Bislang wichen die theoretischen Vorhersagen für Struktur und Schmelzpunkt stark voneinander ab. Ihre genaue Kenntnis ist aber entscheidend für Planetenmodelle und bestimmte Konzepte zur Energiegewinnung durch Kernfusion.
Mit dem ersten DIPOLE-Experiment am European XFEL hat gleichzeitig eine neue Ära für die Messung von Materialien unter Hochdruck begonnen, wie Dr. Ulf Zastrau, HED-Gruppenleiter, betont: „Wir haben jetzt die Toolbox, um Materie unter sehr exotischen Bedingungen in unfassbarem Detail zu charakterisieren.“ Und das Potential des Experiments ist noch lange nicht ausgeschöpft. Künftig könnten die Ergebnisse, die aktuell mehrere Stunden Experimentierzeit benötigen, in wenigen Sekunden vorliegen – sobald die komplexe automatische Steuerung und Datenverarbeitung schnell genug arbeiten.
Originalveröffentlichung
D. Kraus, J. Rips, M. Schörner, M. G. Stevenson, J. Vorberger, D. Ranjan, J. Lütgert, B. Heuser, J. H. Eggert, H.-P. Liermann, I. I. Oleynik, S. Pandolfi, R. Redmer, A. Sollier, C. Strohm, T. J. Volz, B. Albertazzi, S. J. Ali, L. Antonelli, C. Bähtz, O. B. Ball, S. Banerjee, A. B. Belonoshko, C. A. Bolme, V. Bouffetier, ... J. T. Willman, L. Wollenweber, U. Zastrau, E. Brambrink, K. Appel, M. I. McMahon; "The structure of liquid carbon elucidated by in situ X-ray diffraction"; Nature, 2025-5-21
Meistgelesene News
Originalveröffentlichung
D. Kraus, J. Rips, M. Schörner, M. G. Stevenson, J. Vorberger, D. Ranjan, J. Lütgert, B. Heuser, J. H. Eggert, H.-P. Liermann, I. I. Oleynik, S. Pandolfi, R. Redmer, A. Sollier, C. Strohm, T. J. Volz, B. Albertazzi, S. J. Ali, L. Antonelli, C. Bähtz, O. B. Ball, S. Banerjee, A. B. Belonoshko, C. A. Bolme, V. Bouffetier, ... J. T. Willman, L. Wollenweber, U. Zastrau, E. Brambrink, K. Appel, M. I. McMahon; "The structure of liquid carbon elucidated by in situ X-ray diffraction"; Nature, 2025-5-21
Organisationen
Weitere News aus dem Ressort Wissenschaft
Holen Sie sich die Analytik- und Labortechnik-Branche in Ihren Posteingang
Mit dem Absenden des Formulars willigen Sie ein, dass Ihnen die LUMITOS AG den oder die oben ausgewählten Newsletter per E-Mail zusendet. Ihre Daten werden nicht an Dritte weitergegeben. Die Speicherung und Verarbeitung Ihrer Daten durch die LUMITOS AG erfolgt auf Basis unserer Datenschutzerklärung. LUMITOS darf Sie zum Zwecke der Werbung oder der Markt- und Meinungsforschung per E-Mail kontaktieren. Ihre Einwilligung können Sie jederzeit ohne Angabe von Gründen gegenüber der LUMITOS AG, Ernst-Augustin-Str. 2, 12489 Berlin oder per E-Mail unter widerruf@lumitos.com mit Wirkung für die Zukunft widerrufen. Zudem ist in jeder E-Mail ein Link zur Abbestellung des entsprechenden Newsletters enthalten.
Meistgelesene News
Weitere News von unseren anderen Portalen
Zuletzt betrachtete Inhalte
Scienion und Invitek entwickeln Krebs-Chip für Früherkennung und Therapiemonitoring
Nanoteilchen unter Beobachtung: Steirische Forscher kombinieren Analysemethoden neu
Dateneffizientes Basismodell für Biomarker-Erkennung - Künstliche Intelligenz für die klinische Pathologie: Neuer Multitasking-Ansatz
Forscher filmen massenhaften Zell-Untergang - Methode erlaubt neue Einblicke in die Embryonal-Entwicklung
Medikamente in Aktion
BMG LABTECH investiert 4,5 Millionen Euro in Standortentwicklung - Hersteller für Mikroplatten-Reader verdoppelt Produktionsfläche
Beckman Coulter und Fujirebio kooperieren - Ziel ist ein patientenfreundlicher, blutbasierter Alzheimer-Test
Neue Proteinanalyse-Methode offenbart prähistorisches Fischrezept - Entschlüsselung von 6000 Jahre alten Rezepten
Wissenschaftliche Bildanalyse für jedermann - Neue Software ermöglicht die automatisierte Auswertung von Bilddaten ohne Programmierkenntnisse
Wie neuartige Sensoren Körperflüssigkeiten analysieren - Beeindruckende Möglichkeiten – vom Schnuller, der Dehydration erkennt, über Tätowierungen, die den Blutzucker messen, bis hin zur Atemmaske, die Viren ohne unangenehmen Nasenabstrich nachweisen
Chemiebranche setzt Aufschwung fort - trotz Reach