Lebende Herzmuskelschnitte treiben die RNA-Forschung gegen Herzschwäche voran

Forschende bringen lebendes menschliches Herzgewebe in eine Nährlösung und testen daran neue Medikamente und innovative Ansätze zur Bekämpfung der Herzinsuffizienz

08.03.2024
Copyright: Karin Kaiser/MHH

Schlagender Beweis: lebendes menschliches Herzgewebe in Kultur geeignet für Tests neuer Medikamente und innovativer Ansätze zur Bekämpfung der Herzschwäche.

Bei der Entstehung von Krankheiten sind auch mikroRNAs (miRNAs) beteiligt. Diese kleinen RNA-Schnipsel gehören zu den sogenannten nicht kodierenden RNAs: Sie enthalten zwar keine genetische Information für die Herstellung eines Proteins, erfüllen aber eine wichtige Aufgabe bei der Steuerung grundlegender biologischer Prozesse in unseren Zellen. Somit bieten sie einen neuen Ansatzpunkt für Therapien. Professor Dr. Dr. Thomas Thum, Leiter des Instituts Molekulare und Translationale Therapiestrategien der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), forscht schon seit Jahren an miRNAs, die entzündliche und fibrotische Gene regulieren, welche eine Versteifung des Herzmuskelgewebes (Herzfibrose) und damit auch eine Herzschwäche auslösen. In früheren Untersuchungen an Zellkulturen und im Mausmodell konnte er bereits zeigen, dass die Hemmung der mikroRNA miR-21 einen positiven Effekt auf die Fibroseentwicklung hat und so die Herzfunktion verbessern könnte.

In einer aktuellen Studie haben er und sein Team diesen Effekt nun erstmals an menschlichem Herzgewebe nachgewiesen. Dafür nutzten sie die Methode der „lebenden Herzmuskelscheiben“ (living myocardial slices, LMS). Das Material dafür stammt aus der MHH-Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie und ist sozusagen Gewebeabfall aus kranken Herzen, die im Rahmen einer Transplantation entnommen wurden. In Nährlösung leben und schlagen diese Herzmuskelscheiben für viele Tage bis zu Wochen weiter. Die Ergebnisse dieser gemeinschaftlichen neuen Studie sind gerade in der Fachzeitschrift „European Heart Journal“ veröffentlicht worden.

mikroRNA-Blocker sorgt für Fibroserückgang

Die Transplantationen waren nötig, weil die Herzen aufgrund einer Herzschwäche – in der Medizin auch Herzinsuffizienz genannt – nicht mehr richtig arbeiten konnten. Dabei versucht das durch einen Herzinfarkt oder Bluthochdruck geschwächte Herz, seine verminderte Pumpleistung auszugleichen, indem es sein eigenes Volumen vergrößert: Das Herz wächst immer stärker und überfordert sich immer mehr. Hierbei findet sehr häufig eine Vermehrung von Bindegewebszellen (Fibroblasten) im Herzmuskel statt, die das Herz zunehmend versteifen lassen und zu einer Fibrose führen. „An dieser Entwicklung ist miR-21 entscheidend beteiligt“, sagt Professor Thum. Die Forschenden untersuchten, was passiert, wenn die schädliche Funktion von miR-21 ausgeschaltet wird. Dafür verwendeten sie ein sogenanntes Antisense-Molekül, das sich als Spiegelbild-Struktur passgenau an die mikroRNA anlagern und sie so blockieren kann. „Wir haben den Blocker in die Kultivierungskammern gegeben, in denen unsere LMS aus den explantierten, fibrosegeschädigten Herzen weiterlebten“, erklärt der Kardiologe. Die Forschenden konnten beobachten, dass sich die Fibrose in den Gewebeschnitten teilweise zurückbildete. Dadurch wurde das Gewebe elastischer, die Herzmuskelzellen konnten sich beim Schlagen wieder mehr entspannen und die ihre Lebensfähigkeit erhöhte sich.

LMS-Modell bewährt sich für präklinischen Nachweis der Wirksamkeit

„Nach unserer Kenntnis ist dies die erste Studie, in der die Auswirkungen von miR-21 direkt am lebenden menschlichen Herzgewebe untersucht wurde“, stellt Professor Thum fest. Das Modell der LMS habe sich bewährt, um den präklinischen Nachweis für die Wirksamkeit zu erbringen und soll zukünftig auch zur deutlichen Einsparung von Tierversuchen beitragen. „Die Tests in den Kultivierungskammern haben gezeigt, dass der miR-21-Blocker ein möglicher Medikamentenkandidat ist, um Fibroseentwicklung bei Herzinsuffizienz zu stoppen und sogar rückgängig zu machen.“

Da Fibrose auch andere Organe betreffen kann, könnte das Antisense-Molekül auch für die Behandlung der Leber- oder der Lungenfibrose infrage kommen. „Außerdem treten bei Herzinsuffizienz häufig Begleiterkrankungen in Organen wie Leber und Nieren auf, sodass die Unterdrückung von miR-21 vermutlich auch Vorteile bei geschädigter Leber- und Nierenfunktion haben könnte“, vermutet der Wissenschaftler. Als nächstes müssen die Forschenden nun klären, wie sich der Blocker sicher und genau ans gewünschte Ziel bringen lässt. Hier arbeiten die Forschenden bereits an einer Lösung, die es zukünftig möglich machen soll, RNA-Therapeutika zielgerichtet in verschiedene Organe bringen zu können.

Originalveröffentlichung

Weitere News aus dem Ressort Wissenschaft

Meistgelesene News

Weitere News von unseren anderen Portalen

Zuletzt betrachtete Inhalte

5 einfache Glücksmacher für Unternehmen - "Trotz der enormen Arbeitsintensität, anhaltenden Krisen sowie den Abstrichen in der Materialverfügbarkeit ist die Stimmung in der Laborbranche gut bis sehr gut"

5 einfache Glücksmacher für Unternehmen - "Trotz der enormen Arbeitsintensität, anhaltenden Krisen sowie den Abstrichen in der Materialverfügbarkeit ist die Stimmung in der Laborbranche gut bis sehr gut"

Thermo Fisher kauft Dionex für 2,1 Mrd. Dollar

Neue präzisere Cas9-Variante - Spezifischere CRISPR-Cas9 Genschere macht Genom-Editierung noch präziser

Neue präzisere Cas9-Variante - Spezifischere CRISPR-Cas9 Genschere macht Genom-Editierung noch präziser

Neues Tool kartiert mikrobielle Diversität mit noch nie dagewesenen Details - Das innovative Werkzeug ermöglicht die Analyse von strukturellen genomischen Variationen in mikrobiellen Populationen

Neues Tool kartiert mikrobielle Diversität mit noch nie dagewesenen Details - Das innovative Werkzeug ermöglicht die Analyse von strukturellen genomischen Variationen in mikrobiellen Populationen

Eine Ameise auf einem Elefanten wiegen: Quantensprung auf der Waage - Winzige Massenveränderung einzelner Atome erstmals gemessen

Eine Ameise auf einem Elefanten wiegen: Quantensprung auf der Waage - Winzige Massenveränderung einzelner Atome erstmals gemessen

KI hilft bei der Erkennung antibiotikaresistenter Bakterien - Ein erster wichtiger Schritt zur zukünftigen Integration von GPT-4 in die klinische Diagnostik

KI hilft bei der Erkennung antibiotikaresistenter Bakterien - Ein erster wichtiger Schritt zur zukünftigen Integration von GPT-4 in die klinische Diagnostik

Analytica Vietnam 2017: Mehr Aussteller und starkes Rahmenprogramm

KNAUER erhält Qualitätsauszeichnung Berlin-Brandenburg

KNAUER erhält Qualitätsauszeichnung Berlin-Brandenburg

Analyse von Siliziumoberflächen verbessert - Fortschritt zum Beispiel für Photovoltaik

Analyse von Siliziumoberflächen verbessert - Fortschritt zum Beispiel für Photovoltaik

Wettbewerbsfähigkeit der Chemie weiterhin gefährdet - Abstimmung im Industrieausschuss des Europaparlaments zur Revision des Emissionshandels berücksichtigt Kernforderungen der Chemie nicht

Klara – Ein transparenter Fisch für die Alternsforschung - Inaktivierung der Pigmentierung durch CRISPR/Cas9-Technologie

Klara – Ein transparenter Fisch für die Alternsforschung - Inaktivierung der Pigmentierung durch CRISPR/Cas9-Technologie

1,9 Millionen US-Dollar für TU-Zukunftslabor - TU Berlin-Wissenschaftler Peter Neubauer mit Thought Leader Award von Agilent für seine innovative Forschungsarbeit auf dem Gebiet der Bioverfahrenstechnik ausgezeichnet

1,9 Millionen US-Dollar für TU-Zukunftslabor - TU Berlin-Wissenschaftler Peter Neubauer mit Thought Leader Award von Agilent für seine innovative Forschungsarbeit auf dem Gebiet der Bioverfahrenstechnik ausgezeichnet