Erstmals mikroskopisch messbar: Wie Biomoleküle auf Platzmangel reagieren

Sensor zeigt Enge in lebenden Zellen an

07.01.2015 - Deutschland

Proteine und andere Biomoleküle werden oft ausschließlich im Reagenzglas in wässrigen Lösungen untersucht. Es ist jedoch nicht klar, ob diese experimentellen Studien auf die dicht-gepackte zelluläre Umgebung übertragbar sind. Bochumer Forscher um Juniorprofessor Dr. Simon Ebbinghaus haben eine neue Methode entwickelt, mit deren Hilfe sich diese Effekte der Enge in lebenden Zellen erstmals mikroskopisch untersuchen lassen. Sie entwickelten einen Sensor, der je nach Enge in der Zelle seine Farbe wechselt. Darüber berichten die Forscher in der Zeitschrift Angewandte Chemie sowie Angewandte Chemie International Edition. Die Ergebnisse resultieren aus einer Kooperation im Rahmen des Exzellenzclusters RESOLV zwischen der RUB und dem Max-Planck-Institut für Kohlenforschung (Dr. Matthias Heyden).

© RUB, Bild: Physikalische Chemie II

Schematische Darstellung der dicht gepackten zellulären Umgebung, die mit Hilfe des vorgestellten Sensors auf ihre Kompressionseffekte untersucht wird.

Die dicht gepackte zelluläre Umgebung

Proteine haben mannigfaltige Funktionen innerhalb der Zelle. Verschiedenste Proteine übernehmen Aufgaben der Strukturbildung, der Katalyse chemischer Reaktionen oder der Übermittlung von zellulären Signalen. Schon geringe Fehler in Proteinen können schwerwiegende Folgen haben: Sie sind zum Beispiel für Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson oder Chorea Huntington verantwortlich. Für die biochemische und medizinische Forschung sind Proteine daher äußerst interessant. Für die Untersuchung werden sie jedoch oft aus ihrer natürlichen Arbeitsumgebung isoliert, um sie in wässrigen Lösungen zu analysieren. „Dabei wird aber vernachlässigt, dass die Umgebung der Zelle eine dicht gepackte Matrix ist, die aus diversen Makromolekülen sowie kleinen organischen und anorganischen Stoffen besteht, sodass das Innere einer Zelle äußerst zähflüssig und hochkonzentriert ist“, erklärt Simon Ebbinghaus. „Daraus ergibt sich die Frage, ob die analytischen Methoden in wässrigen Lösungen das natürliche Verhalten der Proteine in der zellulären Umgebung widerspiegeln können.“

Theorie: Platzmangel in der Zelle komprimiert Biomoleküle

Die gebräuchlichste Theorie, um die Effekte der zellulären Umgebung zu beschreiben, ist die „Excluded Volume“-Theorie. Vereinfacht erklärt: Wenn in der Weihnachtszeit die Weihnachtsmärkte, Kaufhäuser oder öffentlichen Verkehrsmittel überlaufen sind, versucht jeder den Kontakt mit dem unbekannten Nachbarn zu vermeiden, indem er eine möglichst kompakte Körperhaltung einnimmt. Diese Form der Abstoßung lässt sich auf Proteine übertragen, welche somit in dicht gepackten Umgebungen eine kompaktere Struktur einnehmen. Da Proteine je kompakter desto stabiler sind, sagt die Theorie eine erhöhte Stabilität innerhalb der Zelle voraus.

Sensor leuchtet in verschiedenen Farben

Um diese Effekte besser zu verstehen, haben die RUB-Forscher eine Methode entwickelt, um die Kompression eines Makromoleküls in der Zelle zu verfolgen. Ein mit Farbstoffen markiertes Polymer dient dabei als Sensor. Wird er durch Enge zusammengedrückt, rücken die Farbstoffe näher zusammen und unter dem Mikroskop ändert sich die Frequenz des gemessenen Lichts. „Schaut man nur auf das Licht, stellt man bei größerer Enge eine Veränderung von Grün nach Rot fest“, beschreibt Simon Ebbinghaus.

Überraschung in der lebenden Zelle

Mit Hilfe verschiedener makromolekularer Zusätze (Crowding Reagenzien), mit denen sie eine vorher festgelegte Enge herstellten, konnten die RUB-Forscher im Reagenzglas zeigen, dass der Sensor funktioniert und besonders sensitiv auf die dicht gepackte Umgebung reagiert. Anschließend injizierten sie den Sensor in lebende Zellen und erlebten eine Überraschung: Entgegen der Erwartung zeigte sich, dass in der Zelle eine Kraft herrscht, die seine kompakte Form „auseinanderzieht“. Das deutet darauf hin, dass innerhalb der Zelle Anziehungskräfte herrschen, die die theoretisch vorhergesagten Kompressions-Effekte überlagern.

Zelle unter Stress: Proteine und Funktionen verändern sich

Die Forscher setzten die Zelle dann unter sogenannten osmotischen Stress, indem sie die Salzkonzentration in der Umgebung erhöhten. Die Zelle reagiert darauf, indem sie Wasser abgibt – die Folge ist eine noch größere Enge im Inneren. Dieser osmotische Stress verstärkte die zellulären Kompressionseffekte deutlich. „Solche Veränderungen in der zellulären Umgebung könnten drastische Folgen haben und Protein-Funktionen nachhaltig beeinflussen“, erläutert Simon Ebbinghaus. „Auch andere Formen von Stress – zum Beispiel durch ungefaltete oder fehlgefaltete Proteine, die sich in bestimmten Bereichen der Zelle anhäufen, könnten die zelluläre Umgebung ähnlich verändern. Solche Veränderungen könnten Protein-Verklumpungen fördern, die in der Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen eine entscheidende Rolle spielen.“

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