Mehr als nur Gedächtnis: Botenstoffe kontrollieren die Wanderung von Nervenzellen

Modernes minimalinvasives Mikroskopie-Verfahren am lebenden Tier

11.01.2018 - Deutschland

Einige Botenstoffe im Gehirn entscheiden nicht nur über unsere Stimmungslage, Gedächtnisleistung oder Bewegungskoordination, sie sind auch an der Bildung des Gehirns während der Embryonalentwicklung beteiligt. Diese speziellen Neurotransmitter kontrollieren die Wanderung der Nervenzellen und können ihre Geschwindigkeit beeinflussen. Zu diesem Forschungsergebnis kommen die Neurobiologen Dr. Ulrike Theisen und Prof. Reinhard Köster sowie der Genetiker Prof. Ralf Schnabel von der Technischen Universität Braunschweig.

Jonas Vogel/TU Braunschweig

Der Zebrafisch wird als Modellorganismus zur Untersuchung der Gehirnentwicklung eingesetzt. Die Embryos sind durchsichtig und erlauben lichtmikroskopische Untersuchungen am lebenden Tier.

Die Wirkung verschiedener Botenstoffe auf das Gehirn von Erwachsenen, etwa bei der Kommunikation von Nervenzellen, ist gut untersucht. Über den Einfluss der so genannten Neurotransmitter im embryonalen Gehirn ist weniger bekannt. Einen Beitrag zum besseren Verständnis grundlegender Abläufe bei der individuellen Gehirnentwicklung leisten nun die Ergebnisse von Forscherinnen und Forscher aus der Neurobiologie und der Genetik sowie aus Informatik und Vibroakustik an der TU Braunschweig.

Wanderung von Nervenzellen

Nervenzellen müssen bei der Entwicklung des Klein- und Hinterhirns zu einem bestimmten Zeitpunkt vom Ort ihrer Entstehung zum Ort ihrer Wirkung aktiv migrieren. Auf dieser Wanderung durch das embryonale Gehirn bilden sich die Zellen um und werden zu funktionellen Neuronen. „Zunächst war nicht klar, ob die Neurotransmitter bei der Migration, bei der Differenzierung oder bei der Ausformung der nerven-typischen Zellgestalt eine Rolle spielen könnten“, erklärt Erstautorin Dr. Ulrike Theisen.

Modernes minimalinvasives Mikroskopie-Verfahren

Das fachübergreifende Forschungs-Team näherte sich dieser Frage mit genetischen Methoden und optischen Analyseverfahren. Mithilfe eines minimalinvasiven, modernen Mikroskopie-Verfahrens konnten migrierende Nervenzellen unter verschiedenen Testbedingungen in lebenden Zebrafisch-Embryonen beobachtet werden. Sie eigenen sich besonders als Tiermodell für das menschliche Nervensystem. Da die Fische durchsichtig sind, können die Neuronen während der Migration gut beobachtet werden, ohne den Embryo zu beeinträchtigen.

Genetische Sensoren zeigen Neuronen-Wanderung

Mit Hilfe von neuen genetischen Sensoren konnte das Forschungs-Team zunächst eine erhöhte intrazelluläre Calcium-Konzentration der Neuronen sichtbar machen, eine Reaktion der Zellen auf die Neurotransmitter. Anschließend identifizierten sie die beteiligten Neurotransmitter, indem die Neuronen bei ihrer Wanderung gefilmt und die Bewegung vermessen wurde.

Neurotransmitter regeln die Geschwindigkeit

Durch die Analyse der Gewebeänderung auf Grund des Embryonenwachstums ermittelten die Forscher zudem die Geschwindigkeit der Neuronen. Sie stellten fest, dass die Botenstoffe nur die Geschwindigkeit, aber nicht die Richtung der Wanderung beeinflussen. Allerdings beeinflussen einige Neurotransmitter nur in bestimmten Bereichen des Klein- und Hinterhirns die Geschwindigkeit. Sie sind entweder als Beschleuniger oder Bremser aktiv. Professor Köster erklärt: „Wie im Straßenverkehr können wir für das Kleinhirn eine Karte mit einzelnen Geschwindigkeitsabschnitten erstellen, die durch Neurotransmitter gesteuert werden. So werden Nervenzellen in der Nähe ihres Zielortes wie in einer 30er-Zone abgebremst.“

Beitrag zum Verständnis der individuellen Gehirnentwicklung

Die Ergebnisse des Braunschweiger Forschungs-Teams tragen zum Verständnis der grundlegenden Abläufe der individuellen Gehirnentwicklung bei. „Das ist umso wichtiger, als beim Menschen Störungen in der Nervenzell-Migration zu schweren neurologischen Erkrankungen und psychischen Beeinträchtigungen führen können“, erklärt Prof. Schnabel vom Institut für Genetik der TU Braunschweig. Wie diese Signale nun in das Zellinnere auf die Beweglichkeit der Zellen übertragen wird, ist die nächste herausfordernde Frage, der sich die Wissenschaftler stellen wollen.

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